AG Wuppertal: Schwarz-Surfen ist strafbar

von Jan Spoenle, veröffentlicht am 16.05.2008

In einer bereits vor gut einem Jahr ergangenen, aber erst kürzlich in der NStZ (Heft 3/2008, S. 161) veröffentlichten Entscheidung hat das Amtsgericht Wuppertal einen Mann wegen Verstößen gegen das TKG und das BDSG verurteilt, der zur Verbindung mit dem Internet ein fremdes unverschlüsseltes WLAN-Netzwerk genutzt hatte (Az. 22 Ds 70 Js 6906/06).

 

Was bislang hauptsächlich als zivilrechtliche Problematik diskutiert wurde, ist vom AG Wuppertal damit wohl zum ersten Mal als Straftat betrachtet worden: Das Phänomen des Schwarz-Surfens, bei systematischem Vorgehen auch unter dem Begriff Wardriving bekannt. Im konkreten Fall hatte der Angeklagte aus Geldmangel keinen eigenen Internet-Anschluss unterhalten können und daher zunächst gelegentlich die WLAN-Netzwerke von Bekannten mit deren Genehmigung genutzt, um im Web zu surfen und über das Instant-Messaging-Programm ICQ Kontakt zu Bekannten zu halten. Der Tatvorwurf bestand jedoch darin, ein offenes Netzwerk in der Nachbarschaft seines Elternhauses ohne Genehmigung des Anschlussinhabers genutzt und sich damit gemäß §§ 89 Satz 1, 148 Abs. 1 Satz 1 TKG sowie §§ 44, 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG strafbar gemacht zu haben.

 

Das Gericht argumentiert dabei, dass die dem Angeklagten vom Router zugewiesene (wohl interne) IP-Adresse eine Nachricht gem. § 89 TKG sei, die dieser unbefugt abgehört habe, da sie nicht für ihn bestimmt gewesen sei; die Bestimmung werde dabei vom Berechtigten und Inhaber der Sende-/Empfangsanlage (also des Routers) getroffen, der im Übrigen Strafanzeige erstattet hatte, nachdem er den Sachverhalt entdeckt hatte. Zudem sei eine IP-Adresse - so das AG Wuppertal - ein personenbezogenes Datum gemäß § 3 Abs. 1 BDSG, da IP-Adressen jederzeit zurückverfolgt und einer bestimmbaren Personen zugeordnet werden könnten. Daraus und aus der unbefugten Nutzung der IP-Adresse ergebe sich der Tatvorwurf nach §§ 44, 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG.

 

Ob aus Unsicherheit über die eigene Argumentation oder aus anderen Gründen - jedenfalls schließt das AG Wuppertal mit der Feststellung, dass das Verhalten des Angeklagten strafwürdig sei, da er nicht davon ausgehen durfte, dass in einem reinen Wohngebiet ein kostenloser Hotspot zur Verfügung stünde. Zudem habe der Angeklagte billigend in Kauf genommen, dass dem Inhaber des Internet-Anschlusses bei Nutzung eines Zeit- oder Volumentarifs durch sein Handeln Schäden entstehen könnten.

 

Wie man wohl bei Freifunk, FON und sofanet.de über das Urteil denkt?

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9 Kommentare

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Dieses Urteil ist wohl ganz großer Unsinn und zeugt von völliger Abstinenz technischen Verständnisses bei dem entscheidenden Richter.

Jeder Router enthält einen sog.. DHCP-Server, der für die Verteilung der IP-Adressen an sämtliche Rechner im Netzwerk zuständig ist. Läuft auf einem Rechner ein DHCP-Client wird automatisch vom Server eine IP-Adresse an diesen Client-Rechner erteilt, und zwar insbesondere auch an vorher unbekannte Rechner. Das ist das entscheidende Argument für den Betrieb eines DHCP-Servers. Genau diese Funktionsweise erleichtert nämlich dem technisch unversierten Nutzer eine komfortable Konfiguration seines Heimnetzwerkes. Wer das nicht möchte, muss den DHCP-Server abschalten und mit festen IP-Adressen in seinem Heimnetzwerk arbeiten.

Der Betreiber eines DHCP-Servers will also gerade, dass sämtlichen unbekannten Rechnern in seinem Netzwerk eine IP-Adresse zugewiesen wird. Die Bestimmung, welcher der Betreiber eines Routers mit eingeschaltetem DHCP-Server trifft, ist also der angeblichen Betreiberbestimmung, auf die das AG Wuppertal seine Entscheidung maßgeblich stützt, genau entgegengesetzt.

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Wie man bei Freifunk etc. denkt, kann man evtl. über deren Mailing-Liste erfahren ;-)

Ansonsten vielleicht ein paar Links/Notizen zum Weiterdiskutieren:

Buermeyer HRRS 2004: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/04-08/index.php3?seite=7
-> andere Auffassung als das AG Wuppertal
Bär, MMR 2005, 434 (leider nicht online, soweit ich sehe)
-> deckt sich mit dem Urteil des AG Wuppertal

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Die Frage nun: Inwieweit könnte dieses Urteil Freifunker betreffen? Persönlich schätze ich das so ein, dass wir davon nicht betroffen sind. In einem kurzen Emailwechsel bestätigt dies auch Reto Mantz: "Richtig ist (soweit ich es auf den ersten Augenblick überblicke ohne das intensiv zu prüfen): Freifunk betrifft das meines Erachtens nicht, weil der "Schwarzsurfer" ja quasi aufgefordert wird und deshalb kein Abhören etc. stattfindet."

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Fraglich ist, ob die Zuweisung einer IP-Adresse allein ausreicht um eine Nachricht zu konstituieren. Ist der Zettel mit der Nummer in der Warteschlange, den ich beim Schlachter erhalte eine Nachricht? Oder der Vorgang, daß diese Nummer dann für alle anderen Kunden sichtbar ausgerufen wird?
Technisch ist tatsächlich eher das der Fall - die IP-Adresse wird "in den Raum hinaus gerufen", jeder der sie empfangen möchte, kann das tun.
Falls das Urteil sich also tatsächlich auf dieses eine Faktum abstützt erscheint es mir sachlich zweifelhaft aufgebaut.

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Auch Anbieter von kostenpflichtigen WLAN-Zugriffen verwenden den ungesicherten WLAN-Zugang um einen ersten Kontakt zum Nutzer herzustellen. Dort können dann ggf. Nutzer- und Zahlungsinformationen eingebeben werden. Die Nachricht eines ungesicherten WLANs ist daher eher als "hier bin ich, willst Du mit mir sprechen" zu interpretieren. Wenn dies auf allgemein hierfür bestimmten Frequenzen geschieht und jemand darauf antwortet, ist dies weder ein Abhören noch ein Verstoß gegen den Datenschutz.
Auch gibt es organisiert oder unorganisiert eine Reihe von WLANs, die bewusst für die Nutzung durch Dritte offen gehalten werden. Ähnlich wie ein Besitztum befriedet sein muss um den Tatbestand des Hausfriedensbruchs zu erfüllen, kann auch die Nutzung eines fremden WLANs erst dann strafbar werden, wenn entsprechende Barrieren überwunden werden.

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Die dargestellte Argumentation des AG Wuppertal ist nicht überzeugend.
Die technischen Zusammenhänge sind vom Richter entweder nicht verstanden
worden oder nach dem Motto misbraucht worden: "Der wird verurteilt,
wir müssen uns nur noch eine Begründung zurecht legen."

Ein "Abhören" im Sinne des §89 TKG kann begrifflich schon deshalb
nicht vorliegen, weil der Angeklagte den offenen Zugang des WLANs
zum Aufbau einer *direkten Verbindung* zum Router benutzt hat.

Die Zuteilung der IP-Adresse abstrakt als Nachricht zu werten,
ist vertretbar. Aber diese Nachricht ist keine *fremde* Nachricht.
Denn sie ist entgegen der Darstellung des AG Wuppertal eben nicht
für jemand anderen bestimmt gewesen. Der Angeklagte hat diese
Nachricht nämlich selbst induziert, indem sein Rechner mittels
DHCP eine Frage-Nachricht mittels Broadcast in das Netzwerk des
Anzeigeerstatters geschickt hat. Diese Frage-Nachricht ist ganz konkret
von dem DHCP Server des Routers beantwortet worden. Damit war diese
Antwort-Nachricht (technisch) allein für den Angeklagten bestimmt.

Das AG Wuppertal stützt seine Bewertung der Nachricht als *fremd*
darauf, der Betreiber des Routers habe sie nicht für den Angeklagten
bestimmt. Diese Wertung ist jedoch mit dem Sachverhalt nicht in Einklang
zu bringen. Denn der Betreiber des Routers hat technisch überhaupt keine
Bestimmung der Antwort-Nachricht getroffen. Das DHCP Protokoll
gibt bereits diese Bestimmung vor (siehe oben).
Der Betreiber hat aber auch keine sonstigen Beschränkungen getroffen,
auf die das AG Wuppertal diese Festlegung hätte stützen können.
In Betracht gekommen wäre etwa ein MAC-Filter oder eine
Beschränkung zum Zugriff auf das WLAN mittels Kennwort.

Allein schon durch diesen *freien* offenen Zugang zum Router,
der durch das das Baken-Signal des Routers nach außen signalisiert
wird, erklärt der Betreiber durch schlüssiges Verhalten sein
Einverständnis zur Nutzung. Für diese Auslegung kommt es allein
auf den Empfängerhorizont an.
Dass der Betreiber hier tatsächlich einen anderen inneren Willen
hatte, ist hier auf Grund der andersartigen äußeren Umstände
unbeachtlich.

Unzutreffend ist auch die Feststellung, eine IP-Adresse sei einer
bestimmten Person zugeordnet. Eine IP-Adresse ist keiner Person
zugeordnet sondern eine MAC-Adresse auf grund einer DHCP Anfrage.
Welche Person, die DHCP Anfrage mittels dieser MAC-Adresse tatsächlich
ausgelöst hat, ist dadurch nicht festgelegt. Damit handelt es sich bei
der IP-Adresse auch nicht um ein personenbezogenes Datum.

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Das Ergebnis der zweiten Instanz war auch schon damals bekannt, als die Entscheidung des AG Wuppertal veröffentlicht wurde; sie stammt ja immerhin aus dem Frühjahr 2007. Schade ist aber, dass der Angeklagte die Berufung von vornherein auf die Rechtmäßigkeit der Einziehung beschränkt hat. Sonst hätte sich das LG mit dem insgesamt grottenfalschen Urteil auseinandersetzen müssen. Vgl. auch Ernst/Spoenle, Zur Strafbarkeit des Schwarz-Surfens, CR 2008, S. 439 ff. und Höfinger, Anmerkung zu AG Wuppertal: Strafbarkeit des Schwarz-Surfens, MMR 2008, S. 632 ff.

Gottseidank hat der arme Kerl wenigstens sein Notebook wiederbekommen! Einen ähnlichen Fall scheint es übrigens demnächst in Saulgau zu geben. Sie lernen es einfach nicht ...

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