Der Gesetzgeber muss eingreifen!

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 05.06.2008

All diejenigen, die gehofft hatten, die Rechtsprechung des 8. Senats zur Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr könne "gerichtsintern" - etwa durch Anrufung der großen Senats - bereinigt werden, sehen sich in dieser Hoffnung enttäuscht: Auch der 3.Senat hat sich im Beschluss vom 30.04.2008 - III ZB 8/08 - der Rechtsprechung des 8. Senats ausdrücklich angeschlossen.

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28 Kommentare

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Die BGH-Entscheidungen betreffen ausschließlich die Kostenerstattung im Außenverhältnis; sie haben hingegen keinerlei Einfluss auf die im Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandanten entstandene anwaltliche Gesamtvergütung.
Weshalb der Gesetzgeber eingreifen muss, ist daher nicht selbsterklärend und bedarf einer näheren Begründung.

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Ganz einfach: Wieso wird der Beklagte kostenerstattungsrechtlich "bestraft", der eine unberechtigte Forderung vorgerichtlich anwaltlich zurückweisen lässt? Der potentielle Beklagte fährt besser,wenn er die Klage abwartet und dann einem Anwalt sofortigen Prozesauftrag erteilt; die Förderung verfahrensvermeidender und damit justizschonender Verhaltensweisen sieht anders aus! Und zweitens: die de-facto-Kürzung der PKH-Vergütung aus der Staatskasse durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr war vom Gesetzgeber weder beabsichtigt noch ist sie sachlich gerechtfertigt.

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Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
den von Ihnen angeführten Gründen entnehme ich, dass Sie sich gedanklich noch nicht von der früheren Beurteilung der Anrechnungsvorschriften gelöst haben. Wenn ich die Entscheidungen des 3. und 8. Senats des BGH nicht völlig missverstanden habe, beruht diese bereits zu BRAGO-Zeiten auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung. Dies ist für mich als Nichtzivilrechtler um so erstaunlicher, als es eine Legaldefinition von Anrechnen im Sinne von Aufgehen nicht zu geben scheint und der Begriff landläufig dahingehend verstanden wird, dass sich diejenige Position mindert, auf die angerechnet wird. Zu Ihren Argumenten im Einzelnen: Derjenige, welcher sich vorgerichtlich anwaltlich gegen eine Forderung wehrt, trägt die Anwaltskosten auch wenn es hierüber nachfolgend nicht zu einem Rechtstreit kommt. So gesehen stellt die von Ihnen propagierte Nichtanrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die gerichtliche Verfahrensgebühr tatsächlich eine „Begünstigung“ des Beklagten da. Diese Begünstigung kann rechtlich durchaus als ungerechtfertigte Bereicherung qualifiziert werden, wenn es für die Erstattung der anzurechnenden Geschäftsgebühr keine materiellrechtliche Grundlage gibt. Die Kürzung der PKH-Verfahrensgebühr beruht einzig und allein auf dem Umstand, dass die PKH-Bewilligung dem minderbemittelten Rechtsuchenden eine gerichtliche Rechtsverfolgung seiner Anliegen durch die Freistellung von den damit für ihn verbundenen Rechtsanwaltskosten und den Gerichtskosten ermöglichen will. Aufgabe der PKH ist es jedoch nicht, dem Rechtssuchenden den teilweisen Ausgleich einer aus einer vorgerichtlichen Vertretung herrührende Vergütung zu ermöglichen. Der Anwalt wiederum kann den wirtschaftlichen Verhältnissen seines Mandanten bereits vorgerichtlich dadurch Rechnung tragen, dass er diese bei der Bemessung der Geschäftsgebühr berücksichtigt bzw. für diesen bei Vorliegen der Voraussetzungen im Rahmen der Beratungshilfe tätig wird. Es ist anzunehmen, dass dem Gesetzgeber an einer gesetzeskonformen Anwendung der von ihm erlassenen Gesetze gelegen ist. Ob er sich der damit verbundenen Folgen in dem konkret angesprochenen Fall bewusst war, kann dahingestellt bleiben. Hieraus einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf abzuleiten mag aus anwaltlicher Sicht wünschenswert sein, allein zwingend ist das nicht.

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Sehr geehrter Herr Schmeding,
wie Sie zutreffend feststellen, habe ich mich "gedanklich noch nicht" von der früheren Beurteilung der Anrechnungsvorschriften gelöst, weil ich nämlich die vom BGH neuerdings vertretene,rein am Wortlaut orientierte Auslegung der Anrechnungsvorschriften für falsch halte.Die zuvor einhellig in Literatur und Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass nämlich die Gebührenvorschriften nicht unbesehen auf das Kostenfestsetzungsverfahren übertragen werden können und dass das Innenverhältnis von Anwalt und Mandant vom Kostenerstattungsverhältnis zu sondern ist, war und ist meiner Meinung nach richtig.Wie Sie selbst einräumen,führt der Auffassungswandel in der Rechtsprechung zu Ungereimtheiten, auch werden das Kostensetzungsverfahren und das Mahnverfahren zusätzlich mit Streitigkeiten und Fragen belastet,was ohne weiteres vermeidbar wäre.Es wird Sache des Gesetzgebers sein zu entscheiden, wie lange er diesen -ungewollten- Entwicklungen zusehen will.

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Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
wenn ich Sie richtig verstehe, begründen Sie Ihre Auffassung im Kern mit „das haben wir schon immer so gemacht“ und beklagen ferner Folgewirkungen, die Sie aus der Rechtsprechung des BGH meinen ableiten zu können.
Zum einen mag man sich rückblickend die Frage stellen, ob sich die bisher „probate“ Verfahrensweise tatsächlich auf eine gesetzeskonforme Anwendung der Vergütungs- und der Festsetzungsbestimmungen stützen kann. Berücksichtigt man bei der Klärung dieser Frage den folgenden von dem BVerfG bestätigten zentralen Grundsatz der Festsetzung
"Es gehört zum gesicherten Standard der Kostenfestsetzung (vgl. RGZ 35, S. 427 (428); Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Anm. A II b zu § 104) und versteht sich von selbst, daß keinesfalls höhere Kosten als erstattungsfähig festgesetzt werden dürfen, als dem Berechtigten entstanden sind." (vgl. BVerfG, in Rd.Nr. 16 des Beschluss vom 03.11.1982 in 1 BvR 710/82 unter Hinweis auf RGZ, juris) den Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., in Anm. 63 zu § 162 mit den Worten
"Was der erstattungsberechtigte Beteiligte dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt
nach dem RVG schuldet, kann er auf den erstattungspflichtigen Beteiligten abwälzen." spiegelt, wird man diese nicht mehr so eindeutig in Ihrem Sinne beantworten können. Teilt man Ihre Meinung nicht, mag man sich fragen, ob sich aus einer fehlerhaften Rechtsanwendung ein Gewohnheitsrecht ableiten lässt.
Die drei Voraussetzungen für die Anerkennung eines Gewohnheitsrechts mögen für die Kostenfestsetzung nach der BRAGO in der ordentlichen Gerichtsbarkeit durchaus erfüllt sein – gegen eine Übertragung auf das RVG spricht jedoch die inhaltliche Änderung der Anrechnungsbestimmung hin zu einer Teilanrechnung und ferner die erstmalige Einbeziehung der verwaltungsgerichtlichen Verfahren in die Anrechnung.
Die von Ihnen angesprochenen Ungereimtheiten in der Rechtsprechung dürften ebenso wie die "wesentlichen" Mehrbelastungen im Kostenfestsetzungs- und im Mahnverfahren von vorübergehender Natur sein. Nach einer kurzen Übergangszeit werden sich die in Einzelfällen noch verbleibenden Streitfragen genauso wie bisher (z.B. Anfall der Beweisgebühr in Asylverfahren) obergerichtlich klären lassen. Auch darf erwartet werden, dass die Literatur der Rechtsprechung wie bisher mit ihrem Rat und ihren sogenannten Praxistipps zur Seite steht.

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Als alter BRAGO Spezialist und RVG "Vollversager" kann mir mal jemand Laienhaft erklären, ob ich nun die Verfahrensgebühr auf die Geschäftsgebühr anrechne oder anders herum. Wie gehe ich denn vor, wenn ich die Kosten gegen den Mandanten, also nicht im Rahmen des Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen will. Kostenfestsetzung und Restklage oder wie soll das jetzt tatsächlich gehen. Kann ich im weiteren eine Termins- und Vergleichsgebühr gegen den Mandanten festsetzen lassen, wenn nach Klagezustellung diese Gebühren im Rahmen einer Parteivereinbarung angefallen sind, nicht jedoch sich aus dem Protokoll ergeben.

Ich muß jedoch Dr. Mayer zumindest in einem Punkt Recht geben. Die vormals vorhandenen klaren Strukturen im Handling fehlen.

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Ich rege an die über das Eingangsthema hinausgehende, aus meiner Sicht nicht allzuschwer zu beantwortende Detailfrage zu § 11 RVG, im rechtspflegerforum anzubringen.

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Sehr geehrter Herr Schmeding,
ich glaube auch nicht daran, dass sich die Wogen auf absehbare Zeit wieder glätten werden. Vielmehr wird diese "nunmehr gesetzeskonforme" Auslegung der Anrechnungsvorschriften eine Dauerbaustelle bleiben und zu immer neuen Detailentscheidungen führen (müssen).

Zunächst sollten wir nicht so tun, als hätte die zu Zeiten der BRAGO angewandte Kostenfestsetzungspraxis der Anwaltschaft ungerechtfertige "Zusatzeinkünfte" beschert. Es wurde das abgerechnet, was im GERICHTLICHEN VERFAHREN an Gebühren angefallen ist, nicht mehr und nicht weniger. Uns das war für alle Beteiligten - auch die mit der Kostenfestsetzung betrauten Rechtspfleger - übersichtlich und wenig, ich möchte es nachfragebehaftet nennen, wenn man vom Dauerstreitthema Kopienkosten absieht.

Und nun? Nun müssen sich die am Kostenfestsetzungsverfahren Beteiligten ausserhalb des gerichtlichen verfahrens darüber auseinandersetzen, ob und in welcher Höhe außergerichtliche Gebühren angefallen sein könnten. Der Erstattungspflichtige wird den diesbezüglichen außergerichtlichen Arbeitsanfall der Gegenseite sehr hoch angesetzt haben wollen, um die zu erstattenden Gegühren entsprechend abzusenken.

Damit ist die Gegenseite natürlich nicht einverstanden und am Ende ist das Festsetzungsverfahren aufwändiger als der gerichtliche Prozeß.

Wenn man früher mit der tabelle eine mathematische Prüfung des Festsetzungsbeschlusses vornehmen konnte, wird es nun auf Grund der Ermessensentscheidungen zu einer Flut von Rechtsmitteln gegen die Festsetzung kommen (müssen).

Und dann soll sich der Anwalt noch theoretisch entstandenen außergerichtliche Gebühren anrechnen lassen, welche er nie bekommen wird, weil gesetzliche Bestimmungen es ihm untersagen. Das Mandat wird mit Beratungshilfe begonnen. Die außergerichtliche Streitbeilegung scheitert, man muss den Mandanten auf den Klageweg verweisen. Da man weiss, dass der Mandant Beratungshilfe erhalten hat (man hat selbige ja gegenüber dem gericht abgerechnet), ist er hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens mit Sicherheit auf PKH angewiesen. Damit entsteht dem Anwalt aber eine Abrechnungslücke wegen des Verhältnisses Beratungshilfe - PKH. Und der Sozialarbeiter Anwalt wird nun durch den BGH noch zu weiteren Einkommenseinbussen verdonnert?

Ist das wirklich im Sinne des Gesetzgebers, welcher bei der Verabschiedung des RVG befand, dass die Anrechnungsregeln den Anwalt finanziell besser stellen sollten, wenn er sich für seinen Mandanten um eine außergerichtliche Streitbeilegung bemüht?

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Sehr geehrter Herr Schoetz,
Sie malen den Teufel an die Wand. Auch habe ich den Eindruck, dass sie bei der Anrechnung der
Anrechnung der Beratungsgebühr auf die PKH etwas verwechseln. Für die Anrechnung theoretischer Gebühren ist dort bestimmt kein Raum. Im Gegenteil, bei Beratungshilfe steht Ihnen als Anwalt u.u. § 9 BerhG zur Seite.
Ich erachte es durchaus nicht als lebensfremd, dass sich in der Anrechnungsfrage eine Routine herausbilden wird. Wenn sich nun einzelne Anwälte von Versicherungen Dumpingvereinbarungen aufdrängen lassen, um einen Auftrag zu erlangen, ist das nicht im Gesetz begründet. Ein derartiges Verhalten ist bedauerlich und man mag es beklagen. Deshalb ist Ihre Standesvertretung an dieser Stelle durchaus gefordert und auch meines Wissens nicht untätig gewesen. Eine aus der Anrechnung der Geschäftsgebühr abgeleitete Gerechtigkeitslücke vermag ich nicht zu erkennen. Im Kern geht es doch darum, ob für den Ersatz der Geschäftsgebühr durch den Gegner eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage besteht. Wo diese fehlt, mag man das aus Gerechtigkeitserwägungen beklagen - beseitigen sollte man sie dann aber auch an dieser, der richtigen Stelle.

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Damit dürfte auch klar sein, dass das mit der Einführung des RVG ursprünglich erklärte Ziel des Gesetzgebers, nämlich die außergerichtliche Erledigung von Rechtsstreitigkeiten zu fördern und die Gerichte zu entlasten, hinfällig ist. Gerade ein Inanspruchgenommener wird jetzt erst recht abwarten, bis der vermeintliche Anspruchsinhaber ihn mit einer Klage überzieht.

Folglich muss der Gesetzgeber eingreifen, um sein ursprünglich gestecktes Ziel zu erreichen.

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Sehr geehrte Frau Schwinge,
worauf stützen Sie Ihre Annahme? Belastbare Erkenntnisse in dieser Richtung sind mir bisher nicht bekannt. Wer sich selbst in rechtlichen Situationen nicht zu helfen weiss, wird in der Regel auch weiterhin auf anwaltliche Hilfe angewiesen sein und sich dieser im Zweifel auch bedienen. Kostengesichtspunkt (die Anrechnung) sollen dies nun tatsächlich verhindern? Im Einzelfall mag das ja ein (ausschlaggebender?)Grund sein. Vor dem Hintergrund von Honorarvereinbarungen und der aktuellen Hinwendung zu Erfolgshonoraren drängt sich eine Pauschalannahme in dieser Richtung jedoch förmlich nicht auf.

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Sehr geehrter Herr Schmeding,
nicht ich male den Teufel an die Wand, vielmehr hat ihn der BGH bereits dorthin verfrachtet.

Es geht mir nicht um Vergütungsfragen und "Dumpigvereinbarungen" mit Versicherungen - es geht allein um das sog. "Armenrecht".

Der Hinweis auf Beratungshilfe geht insofern fehl, als sich eben bei einer Anrechnung fiktiv entstandener, aber praktisch nicht beitreibbarer außergerichtlicher Gebühren schlicht eine zusätzliche Deckungslücke ergibt.

Unter der nunmehrigen Rechtslage müsste desweiteren auch jede Klage nicht nur mit einem Klageabweisungsantrag sondern auch einer Widerklage beantwortet werden, da ansonsten der Beklagte bei Klageabweisung und vorgerichtlicher Befassung seines Bevollmächtigten in dieser Angelegenheit der Beklagte auf einem Teil seiner Kosten sitzen bliebe.
Der Richter darf dann nicht nur über die Sache urteilen, sondern muss sich auch darüber eine Meinung bilden, in welchem Umfange beide Parteienvertrezetre bereits aussergerichtlich mit der Sache befasst waren. JEDER Rechtsstreit wird damit auch zu einem Streit über die Kosten.

Und das will man Justizentlastung nennen? Ich wage zu bezweifeln, dass die Damen und Herren beim BGH bei ihren Entscheidungen tatsächlich die gesamte Brisanz und Tragweite erfasst haben...

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Sehr geehrter Herr Schmeding,

ein Mandant, der in Anspruch genommen wird,sollte ja nicht nur über die Berechtigung des Anspruchs sondern auch über das weitere Vorgehen und (tunlichst) über die anfallenden Kosten aufgeklärt werden. Falls der Anspruch nicht offensichtlich begründet ist, wird der Mandant abwägen, ob die Forderung erst einmal anwaltlich zurückzuweisen ist (mit nicht erstattungsfähiger - sagen wir 1,3 - Geschäftsgebühr oder ob er lieber gleich abwartet, bis bei ihm die Klage ins Haus flattert. Stehen die Chancen, dass der Anspruch nicht berechtigt ist, gut, wird er die Geschäftsgebühr nicht noch zusätzlich investieren wollen.

Honorarvereinbarungen sind im übrigen ja schön und gut, gehen sie aber über die gesetzliche Vergütung hinaus, wird sich jedenfalls ein Privatmandant im Zivilrecht kaum darauf einlassen wollen. Und ob das jetzt ermöglichte Erfolgshonorar von der Anwaltschaft so angenommen wird, wird sich erst noch zeigen.

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Sehr geehrte Frau Schwinge, sehr geehrter Herr Schoetz,
der amtlichen Fassung des RVG vermag ich keinen Gebührentatbestand "fiktive Geschäftsgebühr" zu entnehmen. Geschäftsgebühren"anteile" werden regelmäßig miteingeklagt - nunmehr halt, was richtig ist, die entstandene Geschäftsgebühr - übrigens auch um Zinsverluste für den Mandanten zu vermeiden, denen man zu Zeiten der Nichtanrechnung keine Beachtung geschenkt hat. Den daraus seinerzeit resultierenden Schaden dürfte wohl kaum ein Anwalt seinem Mandanten ersetzt haben. Ein Anwalt ist gehalten, für seinen Mandanten den Kostenpunkt im Blick zu behalten. Eine außergerichtliche Regulierung von Streitfällen bietet sich vornehmlich in unklaren Fällen an. Eine offensichtlich unbegründete Forderung bedarf hingegen keiner anwaltlichen Zurückweisung; was den entsprechenden anwaltlichen Rat angeht, ist Nr. 2100 VV RVG ff. zu beachten. In eine mandantengerechte Gesamtbetrachtung wären die mit einem Gerichtsverfahren verbundenen Gerichts- und Anwaltskosten einzubeziehen. Ein Mandant der abwägt darf wissen, wann er unabhängig vom Verfahrensverlauf die Geschäftsgebühr mangels Anspruchsgrundlage nicht erstattet verlangen kann. Die frühere "prozessökonomische" Rechtsprechung hierzu hat ihn an dieser Stelle bei genauer Betrachtung ungerechtfertigt bereichert. Das Verlagen eines weiter wie bisher sollte daher noch einmal sorgfältig überdacht werden.

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Jedoch, sehr geehrter Herr Schmeding:
die Bestrebungen zu einer Gesetzesänderung mögen dafür sprechen, dass auch der Gesetzgeber eine "wirtschaftliche Ungerechtigkeit" empfindet.
Zudem: Wann ist eigentlich eine Forderung "offensichtlich unbegründet"? Ob die Einschaltung eines Anwalts erforderlich ist, ist durchaus für die Rechtsfolge des Schadensersatzes (§§ 249 ff. BGB) von Bedeutung. Dagegen ist es doch eine ganz andere Frage, ob überhaupt eine Anspruchsgrundlage besteht. Oft genug kommt es übrigens vor, dass in einem nicht offensichtlich unbegründeten Fall eine materiell-rechtliche Kostenerstattungsgrundlage nicht besteht. Übrigens: Gibt es eine solche Anspruchsgrundlage nicht, gibt es auch keine Zinsverluste, mal abgesehen, dass Verzugszinsen bei Freihaltungsansprüche ohnehin nie gegeben sind.

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Sehr geehrter Herr Fölsch,
mir fehlen Informationen darüber, das eine Gesetzesänderung erfolgen wird. Sie mag durchaus erwogen werden, denn die dahingehenden Bemühungen u.a. der BRAK wird der Gesetzgeber nicht einfach ignorieren können. Nur, ist eine Gesetzesänderung tatsächlich geboten und wenn ja, warum? Ich zweifle an, dass die anrechnungsbedingte niedrigere Kostenerstattung für das gerichtliche Verfahren außergerichtliche Einigungsbemühungen in nenneswerter Zahl beeinträchtigen wird. Das gesetzgeberische Anliegen eine außergerichtliche Streitbeilegung zu fördern scheint mir auch weiterhin nicht gefährdet zu sein. Sollte sich dies jedoch wider Erwarten in absehbarer Zeit herausstellen, mag der Gesetzgeber zur Abhilfe gefordert sein. Aktionismus an dieser Stelle scheint mir jedenfalls nicht die beste Lösung zu sein.

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Hallo Herr Schmeding,

ich glaube, dass es um Aktionismus nicht geht. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgericht ist bereits mehrere Jahre und die Rechtsprechung des BGH vom 7.3.2007 bereits mehr als ein Jahr alt. Zudem glaube ich, dass vor ein Gesetzesänderung Behörden, Gerichte und Fachverbände angehört werden.
Eine Gesetzeänderung erscheint geboten, weil das seit vielen Jahren bestehende Gerechtigkeitsempfinden bei der Kostenerstattung betroffen ist.
Mandanten werden im Angesichte der Rechtsprechung des BGH von einer außergerichtlichen Mandatierung absehen und den Rechtsanwalt beauftragen, direkt KLage zu erheben. Sie erzielen so einen größeren Kostenerstattungsbetrag als bei einer vorherigen außergerichtlichen Mandantierung. Dies gilt ebenso für die Gegenseite.

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Hallo Herr Fölsch,
Ihre Argumentation hat m.E. Schwachstellen.
Zum einen wurde die von Ihnen zitierte Entscheidung
des BGH zunächst überwiegend nicht auf die Festsetzung übertragen. Das verbreitete Beharren auf der Nichtanrechnung wurde durch die deutliche Entscheidung des 8. Zivilsenats des BGH vom 22.01.2008 erst vor Kurzem ein wenig aufgebrochen und nach weiteren zwei eindeutigen Entscheidungen anderer BGH-Senate hat die praktische Umsetzung in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vielfach grade erst begonnen. Daher hat sich bei den meisten Anwälten und der überwiegenden Anzahl der Kostenfestsetzer bisher auch noch keine Bearbeitungsroutine in der Anrechnungsfrage herausgebildet.
Den Verwaltungsgerichten wiederum fehlt es gegenwärtig an vergleichbaren höchstrichterlichen Entscheidungen.
Gleich zu klagen drängt sich auch weiterhin nicht auf (hiergegen sprechen die damit verbundenen Gerichtskosten und die höheren Anwaltskosten)- außerdem dürfte es ihrem Mandanten nicht auf den größeren Kostenerstattungsbetrag ankommen, sondern vielmehr auf die tatsächliche Gesamtkostenerstattung und das mit einer Klage verbundene Kostenrisiko. Der Beklagte wiederum kann sich wie bisher an einer vorgerichtlichen Klärung alleine oder mit Unterstützung eines Anwalts beteiligen. Mir erscheint es abwegig, dass er sich nun einer vorgerichtlichen Lösung verschließen sollte, weil er die damit verbundenen Anwaltskosten scheut, für die es auch bisher schon keine materiellrechtliche Erstattungsgrundlage gab.
Das von Ihnen angesprochene sogenannte Gerechtigkeitsempfinden wird bei genauer Betrachtung auch nur an diesem einen Punkt tangiert. Eine Geschäftsgebühr wird nicht erstattet, sofern es hierfür an einer materiellrechtlichen Anspruchsgundlage fehlt; sie gelangt ferner (und diese Sichtweise ist neu) auch(anteilig) nicht zur Festsetzung. Es bedarf einer Erklärung, warum dies ungerecht sein soll. Ferner mag man kritisch hinterfragen, ob die bisherige Verfahrensweise demgegenüber tatsächlich so gerecht war. Mit den gesetzlichen Vorgaben der BRAGO jedenfalls hatte die Handhabung nach den Ausführungen des BGH nichts gemein.

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Sehr geehrter Herr Fölsch,
das BMJ arbeitet tatsächlich an einer Gesetzesänderung, die den Ländern in Kürze zur Stellungnahme zugesandt werden soll. Nun bleibt die konkrete Ausgestaltung der Änderung abzuwarten. Ob erwartet werden kann, dass die erwogenen Änderungen für die nötige Rechtssicherheit sorgen oder aber neue Rechtsfragen aufwerfen werden, wird alsdann zu erwägen sein.
Ich persönlich würde es begrüßen, wenn sich die Praxis erst einmal in ihrer Breite auf das geltende Recht einstellen und damit konkrete Erfahrungen sammeln könnte, bevor sie sich parallel mit Übergangsregelungen und gravierenden Änderungen in neuen Verfahren befassen muss. Eine Vielzahl der aktuell mit der Anrechnung verbundenen Befürchtungen mag sich in Praxis tatsächlich als unbegründet erweisen bzw. in einer sich zunehmend einstellenden Routine verflüchtigen.

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Man darf auf den Gesetzesvorschlag gespannt sein. Die unheimlich vielen Entscheidungen, die es zu dieser Problematik gibt, mögen ein Hinweis sein, dass sich eine pragmatische Routine zur derzeitigen Gesetzeslage nicht einstellen wird.

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"Die unheimlich vielen Entscheidungen, die es zu dieser Problematik gibt, mögen ein Hinweis sein, dass sich eine pragmatische Routine zur derzeitigen Gesetzeslage nicht einstellen wird."

Sehr geehrter Herr Fölsch,
man darf wirklich gespannt sein auf den Gesetzesvorschlag und hoffen, dass bei dessen evtl. Umsetzung möglichst keine neuen gravierenden Probleme auftreten, denn die Altverfahren werden uns ja
noch eine Weile begleiten.
Im übrigen ist mir ja vielleicht etwas entgangen. Meines Wissens ist den eindeutigen Entscheidungen des BGH zur Anrechnung in der Kostenfestsetzung bisher ausschließlich ein Senat des KG nicht gefolgt. Ob er dies durchhält, wenn der BGH die dargelegten Gründe des KG entkräftet, darf mehr als bezweifelt werden.
Bisherige Erfahrungen stützen ferner die Annahme einer sich einstellenden Routine.

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Hallo Herr Schmeding,

durchaus wird in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung der BGH-Entscheidung vom 22.1.2008 durchweg gefolgt. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist dies hingegen nicht so. Auch die Literatur wehrt sich ganz überwiegend heftig gegen die BGH-Entscheidung und \"sehnt\" nunmehr einer Gesetzesänderung herbei.

Aus der BGH-Entscheidung vom 7.3.2007 entstand der Streit über die Bedeutung im Kostenfestsetzungsverfahren. Es folgt derzeit der Streit über die Bedeutung im PKH-Vergütungsfestsetzungsverfahren. Zivilgerichte, Arbeitsgerichte und Verwaltungsgerichte handeln mit Stand heute mehr als uneinheitlich. Das ist für die Alltagspraxis nicht akzeptabel, schon gar nicht, wenn es \"nur\" um eine Kostenfrage geht.

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Hallo Herr Fölsch,
so trügt der Eindruck nicht, dass sich die Gerichte der Auffassung des BGH anschließen. Eine Entwicklung, die auch vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit keinen Halt machen dürfte (hatte diese sich doch nicht am Wortlaut des Gesetzes, sondern vielmehr an der Verfahrensweise der Zivilgerichte orientiert).
Die Reputation vieler Kommentatoren hat zugegebenermaßen auch in der Anrechnungsfrage deutlich gelitten. Eine Entwicklung, die sich derzeit einer inneren Logik folgend in der "PKH-Anrechnung" fortzusetzen scheint.
Woher nun allerdings die von Ihnen erwähnte "Sehnsucht" der Literatur nach einer Gesetzesänderung rührt, hat sich mir noch nicht erschlossen.
Der BGH wendet ein Gesetz nach seinem eindeutigen Wortlaut an. Dem Gesetzgeber ist es mithin gelungen, die Anrechnungsbestimmung so eindeutig zu fassen, dass sie keiner Auslegung zugänglich ist. Betrachtet man ferner die Begründung des Gesetzgebers für die Fassung der Anrechnungsbestimmung, so folgt diese einer bestechenden Logik. Wenn nun über mehr als 3 1/2 Jahre Gerichte und Literatur diese eindeutige Bestimmung ausgelegt haben, so mag einen dieser Umstand beschämen.

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Bemerkenswert sind die Äußerungen des Petitionsausschusses des Bundestages für eine Gesetzesänderung !! Vgl. BT-Drs. 16/9500, S. 23.

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Der Petitionsausschuss beschäftigt sich mit der regelmäßig auf Seiten des "zukünftigen Beklagten" fehlenden materiell-rechtlichen
Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Geschäftsgebühr (die im Ausnahmefall auch auf Seiten des "zukünftigen Klägers" fehlen kann).
Danach könnte man auch über die generelle Schaffung einer derartigen Anspruchsgrundlage nachdenken. Der Gesetzgeber hat in dem vorliegenden Entwurf des § 15 a RVG jedoch einen anderen Weg eingeschlagen.
Einem minderbemittelten Mandanten mag dieser Entwurf nicht immer zum Vorteil gereichen. Ein Anwalt wäre künftig nicht mehr so entschieden gehalten, ein Tätigwerden im Rahmen der Beratungshilfe zu erwägen. Ihm eröffenten sich zudem neue Spielräume in der Ausgestaltung seiner Abrechnung. Die Landeskassen würden zusätzlich bei der Auszahlung der PKH-Vergütungen belastet. Bisher steht die zahlungsunabhängige Anrechnung der Geschäftsgebühr auch auf die PKH-Verfahrensgebühr im Raum. Für das BMJ ist letzteres dem Problempapier zu § 15 a RVG zufolge übrigens die logische Konsequenz aus der BGH-Rechtsprechung. Die Stellungnahmen der Länder zu der angedachten Gesetzesänderung dürfen daher mit Spannung erwartet werden.

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