Internationaler Strafgerichtshof stoppt Prozess gegen früheren kongolesischen Milizenchef

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 19.06.2008

Ein schwerer Eklat überschattet den ersten Prozess vor dem fünf Jahre alten Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Die von dem erfahrenen britischen Richter Adrian Fulford geleitete Strafkammer hat das Verfahren gegen den früheren kongolesischen Milizenchef Thomas Lubanga Dyilo, der unter anderem wegen des Einsatzes von Kindersoldaten angeklagt ist, noch vor Beginn der Hauptverhandlung gestoppt. Die Staatsanwaltschaft habe ihre Befugnisse missbraucht und Dokumente, die Lubanga entlasten könnten, für sich behalten, begründete das Gericht am 16.Juni 2008 seine Entscheidung.

Das Statut des Gerichts erlaubt der Anklagevertretung, Informationen unter der Decke zu halten, falls die Informanten dies wünschen. Das soll das Sammeln von Beweisen erleichtern. Wenn aber darunter nicht nur belastendes, sondern möglicherweise auch entlastendes Material ist, so müsse das entlastende Material dem Angeklagten und seinen Anwälten ausgehändigt werden, betonte der IStGH. Dies sei ein Grundprinzip für ein faires Verfahren.

Doch im Fall Lubanga hält die von Chefankläger Luis Moreno-Ocampo geleitete Behörde nach Aussage des Gerichts gut 200 Dokumente unter Verschluss. Die Ankläger behaupten, diese Dokumente könnten ohnehin nicht wirklich zur Entlastung Lubangas beitragen – doch nicht einmal die Richter konnten das bislang überprüfen. Die Vereinten Nationen, von denen ein Großteil der Dokumente stammt, hält den Daumen darauf. Die Ankläger heben unschuldig die Schultern. Der Streit um die UN-Dokumente beschäftigt die Prozessbeteiligten schon seit vielen Monaten. Das mag auch daran liegen, dass das Lubanga-Verfahren das erste überhaupt vor dem IStGH ist, der einst als «Weltgericht» gefeiert wurde. Mit fast jeder Entscheidung wird dort Neuland betreten, denn das vor genau zehn Jahren in Rom verabschiedete Statut hat keinerlei Vorläufer.

Der Milizenführer kann nun auf seine Freilassung aus der Untersuchungshaft in Den Haag hoffen. Darüber wird in der nächsten Woche beraten, ansonsten liegt der Prozess komplett auf Eis, heißt es von Seiten des Gerichts.

Aus der Datenbank beck-online

Ambos: «Verbrechenselemente» sowie Verfahrens- und Beweisregeln des Internationalen Strafgerichtshofs, NJW 2001, 405

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