1200 Quadratmillimeter Jugendschutz - Symbolpolitik hilft bei Gewaltmedien nicht weiter

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 12.07.2008

Seit 1.Juli 2008 gelten nunmehr die neuen Bestimmungen zu "Gewaltmedien" im Jugendschutzgesetz. Zunächst sind damit die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Erweiterungen der Indizierungskriterien in § 18 Abs. 1 S. 1 JuSchG in Kraft getreten. Danach landen nunmehr auch Medien auf dem Index der Bundesprüfstelle, in denen "Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert dargestellt werden" oder "Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe gelegt wird". Was damit gemeint ist, bleibt freilich offen und wird auch in der Amtlichen Begründung kaum erläutert.

Das ist insbesondere deshalb misslich, weil Kriterien wie die "Selbstzweckhaftigkeit" von Gewalt und die positive Akzentuierung von "Selbstjustiz" auch anerkannte Kriterien bei der Vergabe von Altersfreigabekennzeichnungen nach § 14 JuSchG durch die FSK und die USK sind. Sehr häufig wird gerade eine Kennzeichnung "Keine Jugendfreigabe" oder auch "ab 16" hiermit in den Jugendentscheiden begründet. Hat nunmehr aufgrund des 1. JuSchGÄndG künftig eine Alterskennzeichnung in derartigen Fällen zugunsten einer Indzierung mit wesentlich strengeren Rechtsfolgen zu unterbleiben? - Wohl nicht, wenn man die neuen Indizierungsbeispiele als rein deklaratorische Präzisierungen auffasst. Dann aber bleibt ein Effekt aufgrund der Neuerungen fraglich.

Das gleiche gilt auch für die Neuregelung in § 15 JuSchG, die die Indizierungsfolgen ohne Listenaufnahme für solche Medien anordnet, die "besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt beinhalten, die das Geschehen beherrschen". Auch hier also: "selbstzweckhafte Gewalt", welche Bestandteil der Spruchpraxis zu entwicklungsbeinträchtigenden Inhalten seit jeher ist. Kaum verwunderlich ist zudem, dass die Rechtsprechung die Plattitüde der "Selbstzweckhaftigkeit" im Rahmen von Gewaltdarstellungen nach § 131 StGb als nichtssagend und nicht zielführend kritisiert hat. Garniert wird der Tatbestand zudem mit weiteren unbestimmten Rechtsbegriffen, die eher dem Bauchgefühl und der Emotio von Politikern Rechnung tragen, welche zuweilen allzu schnell populistischen Thesen vermeintlich wissenschaftlicher Studien zu verdammungswürdig erscheinenden Computerspielen hinterherlaufen.

Man darf sich schon jetzt freuen auf Fragestellungen wie die Folgenden: Wann sind Gewaltcomputerspiele nur "realistisch" und wann sind sie "besonders realistisch"?; Sind Gewaltmedien, die heute "besonders realistisch" sind aufgrund der stetigen Fortentwicklung von Grafik, Animation etc. morgen schon unrealistisch?; Was ist eine "grausame Darstellung" - oder bezieht sich das Attribut des Grausamen etwa entgegen dem Wortlaut auf "Gewalt"?, Wann beherrschen selbstzweckhafte Gewaltdarstellungen "das Geschehen" und was ist überhaupt mit "Geschehen" gemeint - Der Film-/Spielinhalt im Gesamten?; Ist die Gewaltbeherrschung quantitativ (Minutenanteil am Gesamtinhalt) oder qualitativ zu bestimmen - oder beides, wenn ja in welchem Verhältnis zueinander? etc.

Ich behaupte, dass die tatbestandlichen Neuerungen sowohl der Indizierungskriterien als auch des Tatbestandes der selbstzweckhaften Gewaltdarstellungen in der Jugendschutzpraxis nahezu überhaupt keine praktischen Auswirkungen zeitigen werden. Wenn überhaupt, werden die neuen Tatbestände zu noch größeren Abgrenzungsschwierigkeiten etwa im Hinblick auf das Strafverbot von Gewaltdarstellungen nach § 131 StGB führen und zu der ohnehin bereits seit Jahren insoweit bestehenden Verunsicherung in der Strafverfolgungspraxis beitragen. Es handelt sich nach meiner Auffassung mithin um ein wenig gelungenes Stück Symbolpolitik, das möglicherweise auch aus der Drucksituation der Killerspiel-Debatte aus dem Hut gezaubert worden ist, um damals bereits über den Bundesrat eingebrachte bayerische Gesetzesvorstöße schnell auf ein Abstellgleis zu schieben. Derart wird man dem Phänomen der Zunahme von Gewalt in Medien jedenfalls auf rechtspolitischem Wege wohl kaum besser gerecht als bislang.

Welche Antworten werden also noch gegeben? Was bleibt noch vom 1. JuSchGÄndG? Ach ja! Die Altersfreigabekennzeichen bekommen eine gesetzlich verordnete Mindestgröße - von 1200 Quadratmillimetern auf der Hülle und 250 Quadtratmillimetern auf dem Bildträger!

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Im Rahmen meiner Tätigkeit im Bereich des Jugendschutzes habe ich mich bereits mit dem Entwurf zur Gesetzesänderung auseinandergesetzt und bin dabei auch über die Definitionsprobleme gestolpert. Nun wird mir erneut die Frage gestellt: "Was sind gewaltbeherrschte Spiele eigentlich?" Der Beitrag hilft mir zwar bei der Beantwortung nicht weiter, aber er bringt sehr unterhaltsam das Problem auf den Punkt! Ich fand ihn sehr lesenswert.

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