Rechtsvisualisierung

von Ralf Zosel, veröffentlicht am 09.01.2009

In meinem Bericht zur Rechtsvisualisierungs-Tagung hatte ich bereits angekündigt, ich würde mich schlau machen und erklären, was das denn jetzt genau ist, die Rechtsvisualisierung. Zu diesem Zweck hatte ich an Frau Dr. Colette R. Brunschwig ein paar Fragen gestellt. Sie war nicht nur so freundlich, mir diese zu beantworten, sondern sie war auch einverstanden, dass ich ihre Antworten hier im beck-blog veröffentliche:

1. Was versteht man unter Rechtsvisualisierung und seit wann gibt es sie?

Bevor ich Ihre erste Frage beantworte, möchte ich gleich vorausschicken, dass der enge Rahmen dieses Interviews es nicht erlaubt, die von Ihnen aufgeworfenen Fragen genau und vollständig zu beantworten. Ausserdem möchte ich die Lesenden auf meinen gleichzeitig erscheinenden MMR-Beitrag „Rechtsvisualisierung - Skizze eines nahezu unbekannten Feldes" verweisen (MMR 2009, Heft 1, S. IX).

Das Wort „Rechtsvisualisierung" steht gewöhnlich für die Praxis und die Wissenschaft der Visualisierung rechtlicher oder rechtlich bedeutsamer Inhalte. Der Einfachheit halber spreche ich im Folgenden nur noch von rechtlichen Inhalten und meine damit auch die rechtlich bedeutsamen Inhalte. In dieser neuen Wissenschaft werden die Produkte des visuellen, des audiovisuellen und des multisensorischen Rechts untersucht. Ebenso werden deren Produktion, Rezeption und Wirkung erforscht sowie die zeitlichen, räumlichen, sozialen, ökonomischen, rechtlichen, technischen und kulturellen Kontexte dieser Produkte. Die Praxis befasst sich vor allem mit der Produktion visuellen, audiovisuellen und multisensorischen Rechts zu didaktischen und/oder strategischen Zwecken.

Im Jahre 2005 habe ich den Begriff „Rechtsvisualisierung" eingeführt, um die - damals so genannten - Visualisierungssessionen des Internationalen Rechtsinformatik-Symposions (vgl. http://www.univie.ac.at/RI/IRIS2005/ ) thematisch schärfer zu profilieren. Die Rechtsvisualisierung dürfte wohl seit Menschengedenken praktiziert werden, das heisst, seitdem es Menschen gibt, die rechtliche Inhalte (auch) in nichtsprachlicher Form, also bildlich-visuell repräsentieren und kommunizieren. Denken Sie - um bloss ein paar der vielen rechtshistorischen Beispiele zu nennen - an die vier Bilderhandschriften des Sachsenspiegels (zur Heidelberger Bilderhandschrift vgl. z.B. http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg164/ ) oder an die Rechts- und die Gerechtigkeitsdarstellungen aus unterschiedlichen Jahrhunderten (vgl. etwa Hans Fehr, Das Recht im Bilde, Bern 1923, und Wolfgang Schild, Bilder von Recht und Gerechtigkeit, Köln 1995). Die Wurzeln der zur Debatte stehenden Wissenschaft liegen unter anderem in der Jurisprudentia picturata des 18. Jahrhunderts und in der Rechtsikonographie und in der Rechtsikonologie, welche in rechtshistorischen Kreisen grundsätzlich als Subdisziplinen der Rechtsgeschichte gelten, obwohl es heute nötiger denn je ist, auch den Inhalt und die Bedeutung von modernem visuellem Recht mit wissenschaftlichen Methoden aufzuschlüsseln und dessen rechtlichen Bezugsrahmen zu verdeutlichen. Die Rechtsikonographie und die Rechtsikonologie kamen ungefähr in den 60-iger Jahren des letzten Jahrhunderts auf. Es bedürfte eines eigenen Artikels, um die Entstehungsgeschichte der Rechtsvisualisierung als wissenschaftliche Disziplin nachzuzeichnen. Nicht vergessen werden darf, dass die historische Forschung eine wesentliche Richtung innerhalb der Rechtsvisualisierung als Wissenschaft bildet.

2. Welche Anwendungsgebiete gibt es für die Rechtsvisualisierung in der Praxis?

Es kommt darauf an, was Sie unter dem Begriff „Praxis" verstehen. In erster Linie denke ich hier an die praktische Tätigkeit von Juristen, Anwälten und Treuhändern, aber auch an den Bereich der Rechtsanwendung durch Gerichts- und Verwaltungsbehörden sowie an die Gesetzgebung. Ich glaube, dass die Rechtsvisualisierung in allen diesen rechtlichen Kontexten zur Anwendung kommt bzw. kommen könnte und sollte. Stellen Sie sich z.B. vor, dass rechtliche Erlasse, über die Parlamente entscheiden, diesen im Vorfeld der Abstimmung auch audiovisuell, also in der Form von juristischen Lehrfilmen repräsentiert und kommuniziert würden.

3. Gibt es Anzeichen dafür, dass die praktische Bedeutung der Rechtsvisualisierung in den kommenden Jahren zunehmen wird?

Mein MMR-Artikel handelt davon, dass die Rechtsvisualisierung bereits heutzutage eine grosse praktische Bedeutung hat. Bekanntlich leben wir im Multimedia-Zeitalter. Die multikodierte und damit die multisensorische Repräsentation und Kommunikation nicht nur rechtlicher Inhalte entspricht den Zeichen der Zeit. Angesichts der Informationsflut sind oder wären nicht nur die Laien, sondern auch die rechtlichen Akteure darauf angewiesen, rechtliche Inhalte ebenso in nichtsprachlicher Form zu rezipieren. Wichtig wäre es dabei, deren Komplexität auf die Art und Weise zu reduzieren, dass die wesentlichen Informationen erhalten blieben. Auf welchem Wege dieses Ziel erreicht werden könnte, darüber zu sprechen, das wäre ein weites Feld.

4. Mitte November fand die erste Tagung zur Rechtsvisualisierung in den Räumen des C. H. Beck-Verlages statt. Wie ist eigentlich der Stand der Rechtsvisualisierung im Ausland, z.B. in den USA oder in Japan?

Über Japan kann ich Ihnen leider (noch) nichts berichten, da mir diesbezüglich keine Publikationen, keine Institutionen und keine Projekte und auch keine Konferenzen bekannt sind. Das bedeutet aber nicht, dass dort nichts Einschlägiges läuft. Ich werde mich diesbezüglich erkundigen und Ihnen vielleicht bei anderer Gelegenheit darüber berichten. Was den Stand der Rechtsvisualisierung in den USA betrifft, kann man sagen, dass sie dort bereits „blüht". Mein MMR-Artikel enthält die entsprechenden Informationen.

5. Wer sich für das Thema Rechtsvisualisierung interessiert - sei es weil ein praktischer Bedarf besteht oder ein wissenschaftliches Interesse - an wen kann er oder sie sich wenden?

Das praktische und das wissenschaftliche Feld der Rechtsvisualisierung beackern viele Menschen. Wer sich für dieses Feld interessiert, sei auf meinen MMR-Beitrag verwiesen, der die entsprechenden Hinweise auf Forschende, Lehrende und praktisch Tätige enthält. Für Auskünfte stehe ich Interessierten natürlich auch selber gerne zur Verfügung. Sie finden mich unter http://www.rwi.uzh.ch/oe/zrf/abtrv/brunschwig.html .

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