EuGH: Urlaubsanspruch darf nicht wegen Krankheit verfallen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 21.01.2009
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtEuGHKrankheitUrlaubVerfall6|39619 Aufrufe

Der EuGH hat mit Urteil vom 20.1.2009 (Rechtssachen C‑350/06 und C‑520/06) entschieden, dass es mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie zur Arbeitzeitgestaltung (2003/88/EG) nicht vereinbar ist, dass Arbeitnehmer ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verlieren, wenn sie ihn wegen Krankheit nicht nehmen können. Als Maßstab für die finanzielle Vergütung des Urlaubs nennt der EuGH das Gehalt, das der betreffende Arbeitnehmer während der freien Zeit bezogen hätte. Der EuGH folgt damit den Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak vom 24.1.2008 (hierzu Blog-Beitrag vom 31.3.2008). Das deutsche Urlaubsrecht muss vor diesem Hintergrund korrigiert werden. Denn § 7 Abs. 3 BUrlG sieht vor, dass der Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr genommen werden muss und allenfalls auf die ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres übertragen kann. § 7 Abs. 4 BUrlG sieht nur für den Fall eine Abgeltung in Geld vor, dass der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gewährt werden kann. Die Entscheidung wird sicherlich Kritik hervorrufen: Man könnte sich immerhin auch auf den Standpunkt stellen, dass der Zweck der Richtlinie, Arbeitnehmern zum Schutze ihrer Gesundheit eine jährliche Mindestruhezeit zu gewähren, durch die Verfallregelung nicht beeinträchtigt wird, da doch in jedem Kalenderjahr ein neuer Mindesturlaubsanspruch entsteht. Die Entscheidung dürfte eine nicht unerhebliche Belastung für die Arbeitgeber zur Folge haben. Sie wird die Diskussion um die Kompetenzverteilung zwischen dem EuGH und den Mitgliedstaaten erneut entfachen (siehe hierzu den Blog-Beitrag vom 9.9.2008 - Herzog fordert: Stoppt den EuGH).

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6 Kommentare

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(Meine Privatmeinung)
Soweit ich das Urteil verstanden habe, wendet es sich nicht grds. gegen eine Verfallsregelung! Eine solche ist vom Ausgestaltungsrechtdes nationalen Gesetzgebers gedeckt. Die Verfallsregelung ist nur dann nicht in Ordnung, wenn sie den Verfall vorsieht, wenn der Arbeitnehmer krank war. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit gehabt haben den Urlaub zu nehmen. Das ist nicht der Fall, wenn er krank war.

Auch bin ich mir nicht sicher, ob § 7 IV BUrlG geändert werden muss.. Art. 7 II der Richtlinie lautet nämlich:
"Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden."
Nichts anderes steht in § 7 IV BUrlG: Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
Der EuGH will Abgeltung nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (darum ging es auch in der Vorlageentscheidung).

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Die Entscheidung zwingt wohl zu einer Änderung von § 7 Abs. 3 BUrlG, zumindest aber zur Änderung der vom LAG Düsseldorf im Vorlagebeschluss (2.8.2006 - 12 Sa 486/05) angegriffenen Rechtsprechung des BAG zum Erlöschen des Urlaubs, der infolge fortdauernder Krankheit nicht genommen wird. Bereits jetzt dürfte eine Pflicht der Arbeitsgerichte bestehen, § 7 Abs. 3 BUrlG richtlinienkonform einschränkend auszulegen.

Andererseits: Die Entscheidung kann sich nur auf den von der Richtlinie (Art. 7 Abs. 1) und vom Gesetz (§ 3 BUrlG) geforderten Mindesturlaub von vier Wochen beziehen, nicht auf den Mehranspruch, der sich in Deutschland regelmäßig aus Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag ergibt. Ist der Mindesturlaubsanspruch zu Beginn der Erkrankung bereits erfüllt, muss das Urteil also keine Folgen haben.

Die Entscheidung ist im übrigen ein recht normaler Fall der Richtlinienauslegung im Vorlageverfahren; als Anlass für Aufregung über eine Kompetenzverschiebung hin zum EuGH bzw. eine Kompetenzanmaßung durch den EuGH ist sie ziemlich ungeeignet.

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Der Vorlagebeschluss des LAG Düsseldorf kann auf den Seiten von beck-online unter folgendem Link nachgelesen werden:

http:

//beck-online.beck.de/Default.aspx?vpath=bibdata\zeits\nza-rr\2006\cont\nza-rr.2006.628.1.htm&pos=0&hlwords=#xhlhit

i.A.
Melanie Heikel

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Tatsächlich ist eine Änderung von § 7 Abs. 3 BUrlG bei richtlinienkonformer Auslegung kein gesetzgeberisches Muss; für den Mindestanspruch nach § 3 Abs. 1 BUrlG findet § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG dann eben keine Anwendung, sondern erst für den Anspruch ab dem 25. Werktag. Man darf gespannt sein, ob sich zum Einen die Rechtsprechung dieser Auffassung anschließt und zum Anderen, ob der Gesetzgeber tatsächlich untätig bleibt, bzw. wie eine Änderung ggfls. aussehen wird.

So oder so wird die unerwartete finanzielle Mehrbelastung für die Arbeitgeber wieder einmal bemerkenswerte Realität, weil der Mindesturlaubsanspruch nun einmal häufig 2/3 und mehr des Gesamturlaubsanspruchs ausmacht. Nachvollziehbar mag dabei der Wunsch oder das Bedürfnis des Arbeitnehmers sein, sich von der Krankheit zu "erholen", sei es auch durch finanzielle Kompensation. Kaum einem Arbeitgeber dürfte hingegen zu vermitteln sein, dass ihn hierfür die Kostenlast treffen soll, obwohl er vielleicht jahrelang keine Arbeitsleistung erhalten hat.

Wünschenswert erscheint aus Arbeitgebersicht daher sicher eine Änderung von § 7 Abs. 3 BUrlG , die - wenn sie denn kommt - wenigstens zwischen Mindesturlaubsanspruch und (tarif-)vertraglichem Mehranspruch differenziert und damit die Regelungen für den Mehranspruch belässt, wie bisher.

Bei einer vollständigen Streichung des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG wäre der Mehrurlaub dem Mindestanspruch wohl hingegen rechtlich gleichgestellt, jedenfalls wenn keine anderweitige Regelung besteht, was bisweilen (aber bestimmt nur selten in weiser Voraussicht!) geschehen sein mag, wohingegen ein großer Teil der bestehenden einzel- und tarifvertraglichen Regelungen mehr oder weniger pauschal auf die Anwendung des Bundesurlaubsgesetzes verweisen dürfte.

Jedenfalls liefert die Entscheidung für den beratenden Arbeitsrechtler den freudigen Anlass, die Musterarbeitsverträge der Mandantschaft wieder einmal vorsichtshalber zu überarbeiten. Diese Gelegenheit ergibt sich ja mittlerweile fast jede Woche.

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Das Bundesarbeitsgericht wird voraussichtlich am 24. März 2009 im Verfahren 9 AZR 983/07 erstmals darüber entscheiden, welche Auswirkungen das Urteil des EuGH vom 20.1.2009 auf die (bisherige) ständige Rechtsprechung des BAG hat. Für den 19. Mai 2009 ist die Verhandlung im Verfahren 9 AZR 477/07 angesetzt, die jedoch tarifvertragliche Besonderheiten betrifft.

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Hallo!

Also gilt das auch, wenn man z.B. Urlaub eingereicht hat und diesen nicht antreten kann, weil man bereits im Vorfeld erkrankt ist und die Krankschreibung auch die Zeit des geplanten Urlaubs beinhaltet? Entsprechend stehen diese Urlaubstage dem Arbeitnehmer dann weiterhin zur Verfügung?

 

Vielen Dank für Ihre Antworten.

 

Mit freundlichen Grüßen,

S. Janssen

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