OVG NRW: Akteneinsichtsrecht überwiegt aktiengesetzliche Verschwiegenheitspflicht
von , veröffentlicht am 19.05.2023Zwei Gemeinderatsfraktionen verlangen Akteneinsicht zur Aufsichtsratssitzung einer kommunalen AG. Dem hält der Aufsichtsrat seine Verschwiegenheitspflicht aus § 116 S. 1, § 93 Abs. 1 S. 3 AktG entgegen, und zwar zu Unrecht – so das OVG Nordrhein-Westfalen in einem Urteil vom 12. Dezember 2022 (15 A 2689/20; BeckRS 2022, 42496). Gerichtet war das Einsichtsverlangen gegen den Oberbürgermeister, der als Vertreter der Kommune in den Aufsichtsrat entsandt worden war.
Suspendierte Verschwiegenheitspflicht für Gemeindevertreter
Nach Ansicht des Senats ist die Verschwiegenheitspflicht hier nach § 394 S. 1 AktG suspendiert. Danach unterliegen Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt werden, hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, nicht der Verschwiegenheit.
Berichtspflicht auch bei großer Zahl von Adressaten
Die Suspendierung der Verschwiegenheitspflicht setze nicht voraus, dass die Rechtsgrundlage der Berichtspflicht ein besonderes Maß an Vertraulichkeit gewährleiste. Eine entsprechende Beschränkung sei in § 394 AktG nicht aufgenommen worden. Auch bei einer größeren Zahl von Berichtsempfängern (z. B. Gemeinderat) komme daher eine Suspendierung in Betracht. Kommunalrechtlich sei zudem eine Pflicht der Ratsmitglieder zur Verschwiegenheit gewährleistet; sie lasse sich im Einzelfall durch flankierende Maßnahmen (z B. Delegation auf Ausschuss) weiter absichern. Zwar steige mit zunehmender Größe des zu informierenden Organs die Wahrscheinlichkeit einer Relativierung der Verschwiegenheitspflicht; dies sei jedoch im Interesse einer effektiven demokratischen Kontrolle hinzunehmen.
Uneinheitliches Meinungsbild
Der Senat wendet sich damit ausdrücklich gegen die überwiegende Ansicht im aktienrechtlichen Schrifttum. Bei der Entscheidung handelt es sich, soweit ersichtlich, um die erste obergerichtliche Entscheidung zu dieser Frage. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieses Berührungspunkts zwischen Aktien- und Kommunalrecht wurde die Revision zugelassen.
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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