OLG Saarbrücken: "Alles kann, nix muss" - Verweisung auf Messfoto kann "irgendwie" stattfinden

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.07.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|896 Aufrufe

Man mag sich darüber ärgern, dass die OLGe in der Vergangenheit immer wieder einforderten, dass eine Verweisung auf ein Messfoto eindeutig sein solle. Geraten wurde in vielen Entscheidungen etwa, auch die Verweisungsnorm zu benennen. Ich fand das auch nie sonderlich streng. Richterinnen und Richter schreiben meist etwa: "wegen der Einzelheiten des ussehens des Betroffenen wird gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das Messfoto Bl.... d.A. Bezug genommen." So läuft eigentlich nichts falsch. Das AG St. Ingbert war da weit weniger Konkret. Es hat auch nicht ausdrücklich verweisen, die Messfotoseite aber in Klammern gesetzt. Das OLG Saarbrücken fand das schon ok:

 

 

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert vom 16. September 2022 wird kostenpflichtig (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet v e r w o r f e n .

 Gründe: 

 I.

 Durch Urteil vom 16. September 2022 verurteilte das Amtsgericht St. Ingbert den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer geschlossenen Ortschaft von 80 km/h um 32 km/h zu einer Geldbuße von 400 Euro.

 Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger des Betroffenen am 20. September 2022 Rechtsbeschwerde ein, die er nach der am 13. Oktober 2022 erfolgten Zustellung des schriftlichen Urteils mit weiterem am 28. Oktober 2022 eingegangenem Schriftsatz mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete. Der Verteidiger beanstandet insbesondere die Beweiswürdigung des Amtsgerichts. Das Gericht habe den Betroffenen in unzulässiger Weise anhand eines durch die bloße Angabe der Blattzahl der Akte bezeichneten Lichtbildes als Fahrer identifiziert. Es fehle an einer wirksamen Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG. Das Bild sei im Übrigen zu einer Identifizierung des Betroffenen ungeeignet, da es kontrastarm sei und Wangen und Kinnpartie des Fahrers aufgrund des von ihm getragenen Vollbarts nicht erkennbar seien. Schließlich habe das Amtsgericht in rechtsfehlerhafter Weise nicht mitgeteilt, aufgrund welcher auf dem Foto erkennbarer Identifizierungsmerkmale es seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen gewonnen habe.

 Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Sie meint, das Amtsgericht habe bei seinen Ausführungen zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrer in einer den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO genügenden Weise auf das Messfoto Bezug genommen, das im Übrigen auch zur Identifizierung geeignet sei.

 Der Verteidiger hat zu dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft eine Gegenerklärung abgegeben, in dem er im Wesentlichen auf seinen bisherigen Sachvortrag Bezug genommen hat.

 Die Einzelrichterin hat die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragen.

 II.

 Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) und form- und fristgerecht eingelegte und begründete (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 341, 345 StPO) Rechtsbeschwerde ist unbegründet, da sie auf die allein erhobene Sachrüge hin keinen Rechtsfehler aufdeckt, der sich zum Nachteil des Betroffenen ausgewirkt hat. Insbesondere ist die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Identifizierung des Betroffenen als Fahrer nicht zu beanstanden.

 1. Erfolgt eine Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes, müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Lichtbild überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (vgl. nur Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 19. Dezember 2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 582/22 –, juris; Senatsbeschluss vom 27. Januar 2023 – SsBs 36/22 (43/22) – m.w.N.; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl., § 71 Rdnr. 47a). Diese Anforderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Messfoto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Durch eine solche Bezugnahme wird die Abbildung mit der Folge zum Bestandteil der Urteilsgründe, dass das Rechtsbeschwerdegericht sie aus eigener Anschauung würdigen kann und daher auch in der Lage ist, zu beurteilen, ob sie als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95 –, juris und Urteil vom 28. Januar 2016 – 3 StR 425/15 –, juris; Senatsbeschluss a.a.O.; Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O.). Wird im Urteil nicht auf ein für eine Identitätsfeststellung generell geeignetes Foto nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG verwiesen, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgelichtete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht an Hand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung der Fotos die Prüfung ermöglicht wird, ob dieses zur Identifizierung abstrakt geeignet ist (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95 –, juris; Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O.). Bestehen nach Inhalt oder Qualität des Lichtbilds Zweifel an seiner Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers, so muss der Tatrichter angeben, aufgrund welcher – auf dem Foto erkennbarer – Identifizierungsmerkmale er die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit dem abgebildeten Fahrzeugführer gewonnen hat (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95 –; Senatsbeschluss vom 24. November 2020 – Ss Bs 48/2020 (34/20 OWi) – m.w.N.).

 2. Vorliegend hat das Amtsgericht in zulässiger und wirksamer Weise nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG auf das Messfoto Bl. VIII d.A. Bezug genommen.

 a) Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen Folgendes ausgeführt (UA S. 3):

 „Die Feststellungen zur Sache beruhen auf den in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismitteln, hier den Lichtbildern (Bl. VIII d.A.) mit den Dateieinblendungen, dem Messprotokoll (Bl. 1 d.A.), dem Eichschein (Bl. 2 – 3 d.A.), der Geräteakte (Bl. IX d.A.) und der Schulungsbescheinigung (Bl. X, XI d.A.).

 Der Betroffene hat die Fahrereigenschaft nicht eingeräumt. Darüberhinausgehende Angaben wurden nicht gemacht. Die Fahrereigenschaft ergibt sich aus dem Vergleich der Lichtbilder der Geschwindigkeitsmessung, dem Vergleich des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen und dem Lichtbild des Betroffenen (Bl. 5 d.A.). Das Lichtbild der Geschwindigkeitsmessung ist zur Geschwindigkeitsmessung abstrakt geeignet. Der Abgleich wurde vorliegen durch einen Vergleich der Gesichtsmerkmale, insbesondere der Gesichtsform, der Augenpartie, der Augenbrauenform, der Ohrenform, der Höhe des Ohransatzes und der Nasenform sowie des Alters durchgeführt. Obwohl der Betroffene in der Hauptverhandlung keinen Vollbart trug, sondern glattrasiert war, konnte er eindeutig als Fahrer identifiziert werden.“

 b) Hierin liegt eine rechtswirksame Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das Messfoto Bl. VIII d.A..

 (1) Eine Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO muss in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95 – und Urteil vom 28. Januar 2016 a.a.O.; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. Februar 2017 – 3 Ss OWi 156/17 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 23. März 2017 – III-4 RVs 30/17 –, juris; Senatsbeschlüsse vom 24. November 2020 – Ss Bs 48/2020 (34/20 OWi) –, und 09. April 2019 – Ss Bs 16/2019 (18/19 OWi) –; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 267 Rdnr. 8 m.w.N.). Eine besondere Form schreibt § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO für die Verweisung nicht vor (BGH, Urteil vom 28. Januar 2016 – 3 StR 425/15 –; OLG Bamberg a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Darüber, ob der Tatrichter deutlich und zweifelsfrei erklärt hat, er wolle die Abbildung zum Bestandteil der Urteilsgründe machen, ist stets im Einzelfall unter Heranziehung seiner Darlegungen insgesamt zu entscheiden (BGH a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Insoweit gilt nichts anderes als für die Feststellungen und Wertungen des Tatrichters im Übrigen, die, um rechtlich Bestand zu haben, ebenfalls die Gebote der Eindeutigkeit und der Bestimmtheit wahren müssen (BGH a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Wird im Rahmen der Nennung und inhaltlichen Erörterung eines Lichtbildes ein Klammerzusatz mit einer genauen Fundstelle angebracht, so enthält dies schon nach allgemeiner Lebensanschauung die Aufforderung an den Adressaten, nicht nur die Beschreibung des Bildes zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich darüber hinaus durch dessen Betrachtung auch einen eigenen Eindruck zu verschaffen (BGH a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Wird in entsprechender Weise in den Urteilsgründen verfahren, so drängt sich diese Auslegung in besonderem Maße auf, denn dem Tatrichter kann das Bewusstsein unterstellt werden, dass eine Fundstellenangabe sonst ohne Sinne bliebe (BGH a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Soweit der Verteidiger sich für seine gegenteilige Rechtsauffassung auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf NZV 2007, 254 bezieht, ist diese durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2016 überholt. Soweit auch der Senat in früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten hat, die bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten genüge für eine wirksame Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 22. Juli 2014 – Ss (Z) 217/2014 (38/14 OWi) –, 06. Januar 2014 – Ss (B) 90/2013 (94/13 OWi) – und 24. Oktober 2013 – Ss (B) 55/2013 (50/13 OWi) –), wird hieran nicht mehr festgehalten.

 (2) Hiernach hat das Amtsgericht zunächst wirksam nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG auf das Lichtbild des Betroffenen Blatt 5 der Akte Bezug genommen, da es dessen Nennung ausdrücklich einen Klammerzusatz mit der Blattzahl hinzugefügt hat. Nichts anderes gilt im Ergebnis für die eigentlichen Messfotos Blatt VIII der Akte. Zwar fehlt es insoweit bei den Ausführungen zur Fahreridentifizierung an einem Klammerzusatz mit der Fundstelle in der Akte, dieser findet sich jedoch weiter oberhalb im Rahmen der Aufzählung der herangezogenen Beweismittel, so dass der Gegenstand der Verweisung eindeutig bestimmt werden kann. Die Verweisung nur auf das Lichtbild Blatt 5 der Akte – eine Art Passfoto – bliebe ohne eine Verweisung auch auf die Lichtbilder Blatt VIII der Akte ohne Sinn, da die Betrachtung nur des Lichtbildes Blatt 5 der Akte keinerlei Aussagekraft für die allein relevante Frage hat, ob das Messfoto den Betroffenen zeigt. Ein solch sinnfreies Vorgehen ist der Tatrichterin nicht zu unterstellen.

 3. Aufgrund der wirksamen Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG kann der Senat aus eigener Anschauung würdigen, ob das Lichtbild Bl. VIII der Akte geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Dies ist der Fall. Das Foto zeigt zwar eine gewisse Kontrastarmut auf, dennoch ist das Gesicht des Fahrers mit einer eher runden Gesichtsform und kräftigen Wangen sowie einem Backen- und Oberlippenbart ebenso deutlich zu erkennen wie die Augenpartie und das rechte Ohr. Dass der Haaransatz des Fahrers aufgrund einer getragenen Basecap verdeckt ist, führt nicht zur generellen Ungeeignetheit des Bildes zur Fahreridentifizierung (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 26. November 2019 – 3 Ws (B) 350/19 –, juris).

 Die vom Verteidiger in der Rechtsbeschwerdebegründung vermisste Darlegung, anhand welcher körperlichen Merkmale das Amtsgericht sich zu einer Identifizierung des Betroffenen als Fahrer in der Lage sah, ist in den Urteilsgründen enthalten, obwohl es einer solchen Darlegung aufgrund der generellen Eignung des Lichtbildes Bl. VIII der Akte zur Täteridentifizierung vorliegend nicht bedurft hätte. So hat das Gericht dargelegt, es habe den Betroffenen anhand der Gesichtsform, der Augenpartie, der Augenbrauenform, der Ohrenform, der Höhe des Ohrenansatzes und der Nasenform sowie des Alters identifiziert. Sämtliche dieser Merkmale sind auf den in Bezug genommenen Lichtbildern erkennbar.

 4. Eine eigene Überprüfung, ob der Betroffene tatsächlich mit dem abgebildeten Fahrer identisch ist, hat der Senat nicht vorzunehmen, da die Beweiswürdigung alleinige Aufgabe des Tatrichters ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 26. November 2019 – 3 Ws (B) 350/19 –, juris; Senatsbeschluss vom 24. November 2020 – Ss Bs 48/2020 (34/20 OWi) –).

OLG Saarbrücken Beschl. v. 22.5.2023 – 1 Ss (OWi) 47/22, BeckRS 2023, 11832

 

Ich bin auch irritiert, dass offenbar auf mehrere Lichtbilder auf derselben Seite verwiesen wird. Spätestens das ist nicht mehr ok, wenn nicht differenziert wird. 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen