Der Jurist Goethe

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 22.04.2024
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Der Jurist Goethe

Er ist vermutlich der hierzulande, wie auch international, bekannteste deutsche Dichter: Johann Wolfgang von Goethe. Doch nicht nur seine Figur Faust konnte von sich sagen, er »habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert«, sondern auch sein Verfasser – zumindest was die Juristerei betrifft. Grund genug für die beck-aktuell-Redaktion, einmal diese Seite des berühmten Literaten näher unter die Lupe zu nehmen.

Wie der Vater, so der Sohn. Das galt im Hause Goethe auf alle Fälle hinsichtlich der Wahl des Studienfachs. Wobei von Wahl nicht wirklich die Rede sein konnte. Vater Johann Caspar Goethe blieb eine Position als Rat der Stadt Frankfurt zeitlebens verwehrt, weshalb er diese Ehre stattdessen seinem Sohn sichern wollte. Welch bessere Vorbereitung also für diese Laufbahn als ein Studium der Rechtswissenschaften.

Um Johann Wolfgangs Interessen in diese Richtung zu lenken, begann seine juristische Ausbildung schon sehr früh. So bekannt wie der Sartorius heute, war damals der »Kleine Hoppe«.

Nur dürften die wenigsten der heutigen Jurastudenten ein vergleichbares Werk bereits zu Kindertagen vom Vater in die Hand gedrückt bekommen haben. Der junge Goethe musste die Fragen und Antworten aus dem »Examen institutionum imperialium« des Professors Joachim Hoppe auswendig lernen. Ebenso lernte er den Umgang mit dem Gesetzbuch Justinians, dem Corpus Juris. Auf den »Kleinen Hoppe« folgte dann noch ein damals nicht minder beliebtes juristisches Lehrbuch, der »Kleine Struve« des Jenaer Juristen Georg Adam Struve. 

Im Jahr 1765 erfolgte dann Johann Wolfgangs Immatrikulation an der Universität zu Leipzig, mit gerade einmal 16 Jahren. Auch sein Vater hatte in Leipzig Rechtswissenschaften studiert. Dem Sohn wäre zwar Philologie an der Universität Göttingen lieber gewesen, aber im Nachhinein hat er wohl seine universitäre Laufbahn nicht als ganz falsch betrachtet, da er bei seinem eigenen Nachwuchs am Familienrezept festhielt.

Denn auch für August Goethe beschloss der Vater Johann Wolfgang eine Laufbahn in der herzoglichen Verwaltung und betrachtete ein Jurastudium als die beste Voraussetzung dafür. Einziger Unterschied war die Wahl der Universität, die auf Heidelberg fiel. Diese Entscheidung traf selbstverständlich ebenfalls der Vater, der sich bereits mehr als ein Jahr vor Immatrikulation die Vorlesungsverzeichnisse und Informationen über die dortigen Dozenten schicken ließ.

Staatsmann und Dichter

Nun könnte man meinen drei Generationen wären genug. Aber nein, die Tradition des Jurastudiums im Hause Goethe reicht noch viel länger zurück. Goethes Großvater war Justizbeamter und auch sein Ur-Urgroßvater Johann Wolfgang Textor der Ältere war ein angesehener Jurist des 17. Jahrhunderts. Heute erinnert man sich an ihn vor allem wegen eines Falles, der ebenso der Commedia dell’arte entstammen könnte: Textors zweite Ehe mit einer wesentlich jüngeren Frau scheiterte nach wenigen Monaten, in denen die betreffende Dame jedoch eine beträchtliche Menge unbezahlter Rechnungen anhäufte, die schließlich auch der Grund waren, weshalb Goethes Ur-Urgroßvater in eigener Sache prozessierte.

Auch der Ur-Urenkel war bekanntermaßen der Damenwelt nicht abgeneigt. Sein Studium langweilte Goethe alsbald und er bildete sich lieber in Sprachen, Literatur, der Zeichenkunst sowie in Sachen Liebe weiter, namentlich mit einer Anna Katharina Schönkopf, die »so jung, hübsch, munter, liebevoll und so angenehm war, dass sie wohl verdiente, in dem Schrein des Herzens eine Zeitlang als eine kleine Heilige aufgestellt zu werden…«. Nach einer krankheitsbedingten Unterbrechung beendete Goethe sein Studium schließlich nicht in Leipzig, sondern in Straßburg.

Im September 1770 bestand er dort die erste mündliche Prüfung, zwei Tage später das Rigorosum. Im folgenden Frühjahr legte er seine Dissertation »De Legislatoribus« vor, welche jedoch wegen ihrer kirchenkritischen Tendenzen abgelehnt wurde. Alternativ legte Goethe 56 Thesen vor, die er erfolgreich verteidigte und somit das »testimonium Licentiae« erhielt. Keine vier Wochen später wurde er bereits als Rechtsanwalt in Frankfurt zugelassen, wo er in den darauf folgenden vier Jahren immerhin 28 Prozesse führte, bei denen ihm sein Vater und ein Schreiber zur Hand gingen. Goethe selbst fiel vor allem die Formulierung der Schriftsätze zu, die den Verdacht nahelegen, dass es ihm mehr auf Rhetorik als auf juristische Substanz ankam.

Komplizierte Rechtslage

Schon während seines Studiums interessierte sich der spätere Staatsmann und Schriftsteller vor allem für die Geschichte der Rechtswissenschaften. Diese Kenntnisse waren im Laufe seiner amtlichen Tätigkeit sicherlich hilfreich. Ab 1775 war er Ratsmitglied in Weimar und somit einer der Ratgeber Herzog Carl Augusts in allen wesentlichen Entscheidungen. Diesem unterstanden zwei Herzogtümer mit unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen, was dazu führte, dass Goethe sich dort mit einer äußerst komplizierten Rechtslage konfrontiert sah. Sein Einfluss auf die Weimarer Verfassung ist Gegenstand einer langen und fortlaufenden wissenschaftlichen Diskussion. 

Auch Johann Wolfgang von Goethes schriftstellerisches Werk ist von seiner juristischen Bildung geprägt. Beispielsweise verhandelte er anhand des »Götz von Berlichingen« den Übergang von einer Staatsform zur anderen, vom alten Recht in Form des Kaisers und des Ritterstandes, hin zum modernen Verwaltungs- und Gesetzgebungsstaat, samt der sozialen Konflikte, die ein solcher Wandel mit sich bringt. Der Götz enthält jedoch auch eine Szene, die ein Femegericht darstellt. Goethes »heimliches Gericht« ähnelt dabei leider einer Ku-Klux-Klanartigen Veranstaltung und prägt bis heute die allgemeinen Assoziationen mit »Feme«. Dabei waren Femegerichte bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts ein übliches Konzept, fanden am Tag, ohne Vermummung, statt und waren in ihrem Verfahren den Formen des germanischen Rechtsgangs verpflichtet.

Die Thematik von Recht und Unrecht spielte in Goethes Schaffen eine große Rolle. In seinen Maximen und Reflexionen findet sich folgender Aphorismus: »Es ist besser, es geschehe dir Unrecht, als die Welt sei ohne Gesetz. Deshalb füge sich jeder dem Gesetz.« Diesen Gedanken spielte er in vielen Varianten durch. Nicht zuletzt heißt es in seinem Sonett »Natur und Kunst«: »…das Gesetz nur kann uns Freiheit geben«. 

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