LAG Berlin-Brandenburg bestätigt fristlose Kündigung wegen 1,30 Euro
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Das LAG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 24.2.2009 (7 Sa 2017/08) die Kündigung einer Supermarkt-Kassiererin wegen des Diebstahls zweier Pfandbons im Gesamtwert von 1,30 Euro bestätigt und damit die Berufung gegen das klageabweisende Urteil der ersten Instanz zurückgewiesen (siehe schon BeckBlog vom 2.2.2009). Der Rechtsstreit hat bundesweit Aufsehen erregt, weil die Klägerin bereits seit 30 Jahren in dem Betrieb beschäftigt war, ferner behauptet hatte, die Kündigung stehe mit ihrer gewerkschaftlichen Arbeit und der Teilnahme an einem Streik in Zusammenhang und die Rechtsauffassung vertreten hat, eine Verdachtskündigung verstoße gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention).
Das LAG Berlin-Brandenburg hat sich dieser Argumentation nicht angeschlossen: Ausweislich der Pressemitteilung des Gerichts hält es eine Verdachtskündigung - obiter dictum - für zulässig. Das oft gebrauchte Argument der „Unschuldsvermutung“ greife hier nicht; es gehe nicht um eine Verurteilung aufgrund des Strafrechts, vielmehr werde das (arbeitsrechtliche) Kündigungsrecht vom „Prognoseprinzip“ beherrscht, das danach frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts dringender Verdachtsmomente für das Vorliegen einer Straftat des Arbeitnehmers noch zumutbar sei oder nicht.
Letztlich tragen diese Überlegungen die Entscheidung des Gerichts aber gar nicht. Denn es ist nach der Vernehmung der Klägerin sowie mehrerer Zeugen zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin die ihr zur Last gelegte Tat - Entwendung von zwei liegen gebliebenen Pfandbons aus dem Kassenbüro und Einlösung derselben zu ihren Gunsten - tatsächlich begangen hat, sodass hier nicht nur ein „Verdacht“ gegeben sei.
Bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung sei zwar das Alter der Klägerin und ihre langjährige Beschäftigungszeit zu ihren Gunsten zu berücksichtigen gewesen. Zu ihren Lasten allerdings sei ins Gewicht gefallen, dass sie als Kassiererin unbedingte Zuverlässigkeit und absolute Korrektheit zeigen müsse. Der ihr obliegende Umgang mit Geld, Bons etc. setze absolute Ehrlichkeit voraus, der Arbeitgeber müsse sich bei einer Kassiererin auf diese unabdingbaren Voraussetzungen verlassen können. Insofern könne es auch nicht auf den Wert der entwendeten Ware ankommen, das Eigentum des Arbeitgebers stehe auch nicht für geringe Beträge zur Disposition, und das auch nicht bei längerer Betriebszugehörigkeit. Durch eine entsprechende Tatbegehung einer Kassiererin entstehe ein irreparabler Vertrauensverlust. Das Gericht wies ausdrücklich darauf hin, dass gerade dieser Vertrauensverlust gegenüber der als Kassiererin beschäftigten Klägerin, nicht aber der Wert der Sache (1,30 Euro) maßgeblicher Kündigungsgrund sei. Der Vertrauensverlust sei im zu entscheidenden Fall noch nachhaltiger gewesen, weil die Klägerin im Rahmen der Befragungen durch den Arbeitgeber immer wieder falsche Angaben gemacht habe, die sie dann, als sie vom Arbeitgeber widerlegt waren, einfach fallengelassen hat. So habe sie beispielsweise ohne Grund und Rechtfertigung eine Kollegin belastet, die nichts mit der Sache zu tun gehabt hatte.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde vom LAG nicht zugelassen.
Die Klägerin, die bereits im Vorfeld angekündigt hatte, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gehen zu wollen, hat damit ihren Arbeitsplatz verloren. Der EGMR kann das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht aufheben, sondern allenfalls die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung einer Entschädigung wegen Verletzung der Konvention verurteilen (vgl. BVerfG 14.10.2004 BVerfGE 111, 307 ff.). Angesichts des Umstandes, dass das Landesarbeitsgericht die Kündigung wegen erwiesener Pflichtverletzung (und nicht nur wegen des bloßen Verdachts) als gerechtfertigt angesehen hat, dürften die Chancen der Klägerin beim EGMR jedoch als äußerst gering einzuschätzen sein.