Außergewöhnlich: Eine Person mit zwei genetischen Identitäten - Vorsicht bei Genspuren!
von , veröffentlicht am 28.10.2008Was millionenfach bewiesen ist, glaubte ich bis vor wenigen Tagen: Jeder Mensch verfügt über einen einzigartigen genetischen Fingerabdruck - ausgenommen eineiige Zwillinge, die sich dieselben Erbanlagen teilen. Wie das Münchner Institut für Rechtsmedizin aber jetzt feststellte, kann eine Person sowohl weibliche wie auch männliche DNA-Fragmente aufweisen.
Hintergrund: ein Suizid
Jemand hatte sich vor die S-Bahn geworfen. Die menschlichen Überreste waren 300 m an der Bahn-Strecke verstreut. Alles deutete auf den Vermissten Walter W., der auch einen Abschiedsbrief hinterlassen hatte. Zum Vergleich mit den am Unfallort sichergestellten DNA-Spuren nahmen die Polizeibeamten aus der Wohnung des W. den Nassrasierer mit. Am Rasierapparat wurden sowohl weibliche als auch männliche DNA-Fragmente nachgewiesen, während das sichergestellte Leichenblut nur die - mit dem Rasierapparat identische - weibliche DNA aufwies. Ein Doppelselbstmord eines unglücklichen Liebespaars, das den gleichen Rasierapparat benutzte? Nein, der Tote besaß zwei genetische Identitäten, weil eine Frau ihm vor Jahren Knochenmark gespendet hatte. Nach der Transplantation wiesen die Blutzellen des W. die DNA-Merkmale der Spenderin auf. In allen anderen Körperzellen blieb das ursprüngliche DNA-Muster des Mannes erhalten.
Das Phänomen der Doppel-DNA
Medizinern und Biologen ist das Phänomen der Doppel-DNA bei Knochenmarktransplantationen (in Deutschland seit 1998 in mehr als 17.600 Fällen erfolgreich praktiziert) bekannt. Bei Organverpflanzungen besitzt (und behält) nur das transplantierte Organ die Merkmale des Spenders. Bei Bluttransfusionen vermehren sich die Zellen des Spenders nicht und gehen deshalb mit der Zeit verloren.
Bedeutung für die Praxis
Kein Grundsatz ohne Ausnahme!
Der Verdacht könnte sich gegen einen Unschuldigen richten, nämlich den Knochenmarkspender, wenn sich am Tatort die Blutspuren des mutmaßlichen Täters finden, aus denen das DNA-Profil erstellt wird. Andererseits könnte der Täter leicht aus dem Blick geraten, wenn er lediglich einem Speicheltest unterzogen wird, wenn das Tatort-Blut (wie vorliegend) lediglich Zellen des Spenders aufweist.
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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6 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenDer_Rufer kommentiert am Permanenter Link
Das sollte gesunde Skepsis bestärken, wenn ein DNA-Beweis als einziger jede Diskussion ausschließender Beweis für eine Täterschaft präsentiert wird.
Sellier kommentiert am Permanenter Link
Man sollte also dem Anwalt von O.J.Simpson nachträglich verzeiehn, dass er die Geschworenen und Zuschauer mit unendlich vielen Verhandlungstagen gequält hat an denen jede Aminosäure des Genoms des Angeklagten durchgegangen wurde, um Zweifel zu sähen, dass es ein sicheres Beweismittel sei.
Jürgen J. kommentiert am Permanenter Link
Ist dies etwa der entscheidende Durchbruch bei der Suche nach der "Frau ohne Gesicht", die mit weiblicher DNA raubend und mordend durch Europa zieht und doch immer nur als Mann beschrieben wird?
Eine interessante Reportage zu diesem Fall findet sich in der Mediathek des ZDF (www.zdf.de) als Video unter "Der Fall: die Frau ohne Gesicht".
Der_Rufer kommentiert am Permanenter Link
@ Jürgen J.
Das würde in der Tat die völlige Verschiedenheit der Taten und Orte erklären - es sind einfach völlig verschiedene Täter, denen Knochenmark von der selben Spenderin eingesetzt wurde. Dazu passen die oft parellel gefundenen Spuren männlicher DNA - das sind dann die "natürlichen" Spuren des Täters.
Allein: Ich kann - besser gesagt ich will einfach nicht glauben, dass die Polizei in ihrem erheblichen Ermittlungsaufwand diese zumindest nicht ganz fern liegende Möglichkeit nicht bedacht haben sollte.
Jürgen J. kommentiert am Permanenter Link
@Der_Rufer:
Allerdings dürfte der Transplantationsmediziner dann ein goldenes Händchen für äußerst kriminelle Patienten haben :-)
Ich halte die These von der Hermaphrodite nicht für abwegig.
Alfred E. kommentiert am Permanenter Link
Das ungeheuer spannend geschriebene Buch von Juli Zeh " Corpus Delicti" beschäftigt sich mit diesem Thema eines angeblich" absolut sicheren DNA-Nachweises" bei einem Verbrechen in einem Staat mit einer absurden "Gesundheitsdiktatur" als Zwangsbeglückung jeden einzelnen Bürgers.