BayObLG zur nicht geringen Menge von Cannabis und zur Frage, ob das BtMG oder das KCanG milder ist

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 26.04.2024

Das BayObLG hatte zu entscheiden, ob das BtMG oder das KCanG nach dem Mehrbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB als milderes Gesetz anzuwenden ist (BayObLG Beschl. v. 12.4.2024 – 206 StRR 129/24, BeckRS 2024, 7585).

Konkret  ging es um folgenden Sachverhalt: Erstinstanzlich war der Angeklagte vom AG wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (162,49 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 16,13 Gramm THC) schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. In der Berufungsinstanz erfolgte eine Reduzierung der Freiheitsstrafe auf 8 Monate mit Strafaussetzung zur Bewährung, weil der Angeklagte das Cannabis selbst in seiner Wohnung angebaut und zur Schmerzlinderung eingesetzt hatte.

Hiergegen legte der Angeklagte Revision ein, die aufgrund des am 1. April 2024 in Kraft getretenen KCanG mit folgender Begründung zur Änderung des Schuldspruchs (der Angeklagte ist schuldig des unerlaubten Besitzes von Cannabis) und zur Aufhebung des angegriffenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch führte:

 1. In Art. 1 des CanG wird das Konsumcannabisgesetz (KCanG) eingeführt, welches vorliegend einschlägig ist. Dass der Angeklagte das bei ihm aufgefundene Cannabis zu medizinischen Zwecken verwendete, führt nicht zur Anwendung des in Art. 2 CanG eingeführten Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG), da das gegenständliche Cannabis nicht unter staatlicher Kontrolle angebaut wurde §§ 1, 2 Nr. 1 MedCanG. Auf Grund der in Art. 3 CanG vorgenommenen Änderungen des BtMG und seiner Anlage I unterfällt Cannabis dem BtMG nicht mehr. Der Angeklagte ist jedoch nicht freizusprechen, da nach §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 1, 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) KCanG der Besitz von mehr als 60 Gramm Cannabis strafbar bleibt. Auf Grund der geringeren Strafandrohung (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) ist das KCanG anzuwenden, § 2 Abs. 3 StGB.

Die vorliegend infolge des Beschlusses des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27. Oktober 2023 eingetretene Rechtskraft des Schuldspruchs steht dem nicht entgegen (Fischer, Kommentar zum StGB, 71. Aufl., Rn. 12 zu § 2). Dieser ist vom Revisionsgericht neu zu fassen (so bereits BGH, Urteil vom 22. Januar 1974 – 1 StR 490/73 –, juris, Rn. 4; BGH, Urteil vom 12. Februar 1974 – 1 StR 610/73 –, juris Rn. 7) und führt zur tenorierten Fassung, der die hierfür ausreichenden Feststellungen des insoweit rechtskräftigen (ersten) Berufungsurteils des Landgerichts Augsburg vom 11. Juli 2023 zu Grunde liegen.

 2. Das angegriffene (zweite) landgerichtliche Urteil vom 19. Dezember 2023, welches nur noch über die Rechtsfolgen zu befinden hatte, konnte keinen Bestand haben, da die Erwägungen zur Strafzumessung der neuen Rechtslage nicht entsprechen.

Zwar hat das Landgericht ausdrücklich darauf verwiesen, dass nach dem seinerzeitigen Stand des Gesetzgebungsverfahrens zukünftig „der Besitz von Cannabis in nicht geringer Menge in der Regel als besonders schwerer Fall zu werten (sei), der einen Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren (vorsehe), also dem (vom Landgericht) angewandten Strafrahmen“ (§ 29 a Abs. 2 BtMG) entspreche (UA S. 6 unten) und damit auf den letztlich in Kraft getretenen § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG rekurriert. Die indizielle Wirkung des Regelbeispiels werde – so das Landgericht – vorliegend nicht durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet, weshalb kein Anlass bestanden habe „im Vorgriff auf die vorgesehene Gesetzesänderung eine noch mildere Strafe als eine solche von 8 Monaten zu verhängen“ (UA S. 7 oben).

Diese „im Vorgriff“ auf das KCanG angestellten Überlegungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung jedoch letztlich nicht stand. Das Landgericht hatte bei einem Wirkstoffgehalt von mindestens 16,13 Gramm THC nach der damaligen Rechtslage und ständigen Rechtsprechung zwar keinen Anlass, an der „nicht geringen Menge“ des gegenständlichen Cannabis im Sinne des § 29a BtMG zu zweifeln, welche bei 7,5 Gramm angenommen wurde (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG 10. Aufl. 2022, § 29a Rn. 63). Der Gesetzgeber hat jedoch mit dem CanG eine „geänderte Risikobewertung“ hinsichtlich dieses Betäubungsmittels vorgenommen (BT-Drucksache 20/8704 S. 69) und geht davon aus, dass die Höhe der „nicht geringen Menge“ nach Inkrafttreten des KCanG deutlich höher liegen werde als nach der bisherigen Rechtsprechung (BT-Drucksache 20/10426 S. 140). Die Strafwürdigkeit des Besitzes von Cannabis ist daher nunmehr neu zu bewerten und kann sich nicht im Rückgriff auf herkömmliche Rechtsprechung erschöpfen.

Selbst bei einer Überschreitung der durch die Rechtsprechung definierten „nicht geringen Menge“ des § 29a Abs. 1 Ziff. 2 BtMG um das Vielfache ist regelmäßig ein „minder schwerer Fall“ gem. § 29a Abs. 2 BtMG zu prüfen (ständige Rechtsprechung; für die 11-fache Menge: BGH, Beschluss vom 10. April 1990, 4 StR 148/90, juris Rn. 12). Auch das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG ist nicht „automatisch“ bei Überschreitung der (noch zu definierenden) „nicht geringen Menge“ von Cannabis erfüllt. Vielmehr können nach einer Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen gewichtige Milderungsgründe gegen die Anwendung des erhöhten Regelstrafrahmens sprechen (BGH, Urteil vom 20. April 2016 – 5 StR 37/16 –, juris, Rn. 7). Vorliegend hat das Landgericht – nach damaliger Rechtslage nicht zu beanstanden – einen minder schweren Fall gem. § 29a Abs. 2 StGB angenommen und hierfür zutreffend eine Vielzahl erheblicher Milderungsgründe angeführt. Diese sprechen jedoch ebenfalls gegen die Anwendung des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG. Insbesondere die gesetzgeberische Wertung, wonach der Besitz von Cannabis zum Eigenverbrauch weniger strafwürdig ist (§ 35a KCanG), schlägt ganz erheblich zu Gunsten des nicht vorbestraften, geständigen Angeklagten zu Buche. Hinzu kommt der festgestellte medizinische Bedarf des Angeklagten, der das Cannabis zur Schmerzlinderung verwendete.

Nachdem die Anwendung des Strafrahmens des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG daher eher fern liegt, bedarf es im vorliegenden Verfahren noch keiner Neudefinition der „nicht geringen Menge“ von Cannabis durch den Senat. Sollte die nunmehr befasste Strafkammer dennoch zu einer Anwendung der Vorschrift gelangen, wäre die vom Senat tenorierte Liste der angewandten Strafvorschriften entsprechend zu ergänzen.

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