SPD-Landtagsfraktion in Bayern droht mit Verfassungsbeschwerde bei CSU-Sonderweg zur Online-Durchsuchung

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 09.05.2008

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat einen Sonderweg bei der Umsetzung des Regierungskompromisses zur Online-Durchsuchung angekündigt. Für die SPD-Landtagsfraktion ist dies Anlass, über eine Verfassungsbeschwerde nachzudenken. Das meldete die Pressestelle des Bayerischen Landtags am 07.05.2008.

Der SPD-Fraktionssprecher Franz Schindler wertete dem Bericht zufolge das Eindringen in Wohnungen zur Installation von Überwachungssoftware als verfassungsrechtlich bedenklich. Auch verwies der Politiker auf den Konsens, den man auf Bundesebene zwischen der Union und der SPD gefunden hatte. Danach solle das Betreten von Wohnungen zur Manipulation von Rechnern weiterhin verboten bleiben. Als geradezu kaltschnäuzig bezeichnete es Schindler deshalb, dass sich die bayerische Regierung trotz der verfassungsrechtlichen Probleme nicht an den Kompromiss halten wolle. Der Fraktionssprecher sieht darin ein bewusstes Überschreiten der bayerischen Regierung der Grenzen des verfassungsrechtlich Erlaubten. Schindler selbst sprach sich erneut gegen Online-Durchsuchungen aus. Mehr qualifizierte Mitarbeiter zur Auswerung von Daten seien ausreichend.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

14 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

[...] beck-blog DIE EXPERTEN - SPD-Landtagsfraktion in Bayern droht mit Verfassungsbeschwerde bei CSU-Sond...: Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat einen Sonderweg bei der Umsetzung des Regierungskompromisses zur Online-Durchsuchung angekündigt. Für die SPD-Landtagsfraktion ist dies Anlass, über eine Verfassungsbeschwerde nachzudenken. Das meldete die Pressestelle des Bayerischen Landtags am 07.05.2008. [...]

0

Guten Tag,

der Artikel ist zwar schon etwas älter, ich hätte aber dennoch eine Anmerkung bzw. ein Diskussionsthema.

Vorneweg: mein Beitrag bezieht sich auf die Online-Durchsuchung im Strafverfolgungsbereich. Der Freistaat Bayern wollte vor einigen Wochen über den Bundesrat einen Gesetzesentwurf auf den Weg bringen, der den Ermittlungsbehörden im Rahmen von "notwendigen Begleitmaßnahmen" ein heimliches Wohnungsbetretungsrecht zum Zwecke der Manipulation des Computers zugestehen. Der Entwurf wurde aber letztlich nicht in den Bundestag eingebracht.

Für dieses Eindringen wäre m. E. eine Grundgesetzänderung von Nöten. Die Rechtfertigung nach Art. 13 II GG erlaubt nach h. M. nur eine offene Durchsuchung (a. A. die bayerische Staatsregierung).

Die Grundgesetzänderung wiederum ist nach vereinzelter Auffassung aufgrund der Heimlichkeit nicht mit Art. 79 III iVm. Art. 1 GG vereinbar.

Mein Problem: beim Großen Lauschangriff ist anerkannt, dass den Behörden ein Betretungsrecht der Wohnung zum Anbringen der technischen Mittel (Wanze) zusteht. Diese Begleitmaßnahmen seien wiederum durch Art. 13 III GG gedeckt. Aber auch dies stellt doch eine heimliche Durchsuchung dar?! Gab es dazu nie Diskussionen, ob hier eine Vereinbarkeit mit Art. 79 III iVm. Art. 1 GG vorliegt?

Wäre schön, wenn eine Diskussion zustande käme.

MfG,
Rufus

0

Die abschließend aufgeworfene Frage kann ich leider aus dem Stand heraus nicht beantworten; auf die Heimlichkeit scheint es mir aber mit Blick auf Art. 13 GG nicht entscheidend anzukommen.

Die eingangs geschilderte Problematik wird - wie oben dargestellt - sowohl in die eine wie in die andere Richtung beantwortet. Beim Meinungsstand ist aber zu berücksichtigen, ob es um Äußerungen zur "bloßen" Online-Durchsuchung ohne Betreten der Wohnung oder um das Vorbereiten der Online-Durchsuchung mittels heimlichen Eindringens in die Wohnung geht. Wenn der Ermittlungsrichter des BGH in der Entscheidung vom 21.2.2006 (LSK 2007, 040608 = StV 2007, 60)die Auffassung vertreten hat, dass überhaupt kein Eingriff in das Grundrecht des Art. 13 GG vorliegt, weil die Wohnung selbst nicht nach Beweismitteln durchsucht werde, so betrifft das nur die erste Variante (und ist zudem m.E. mit Recht umstritten). Beim Großen Lauschangriff geht es aufgrund der technischen Möglichkeiten meines Wissens nicht anders als die Wanze in der Wohnung anzubringen (anders eben als beim Zugriff auf einen fremden PC). Was sagen die Spezialisten?

0

Sehr geehrter Herr Prof. Heintschel-Heinegg,

vielen Dank für Ihren Antwort!

Ich möchte mit meinem Problemaufriss lediglich das heimliche Betreten der Wohnung durch Ermittlungsbehörden (als Vorbereitungshandlung für die Online-Durchsuchung) durchleuchten. Die "bloße" Online-Durchsuchung ohne Betreten stellt m. E. keinen Eingriff in Art. 13 GG dar (so auch das BVerfG), aber das nur am Rande.

Für mich ist nur folgender Widerspruch nicht erklärlich:
einerseits sind sich fast alle einig, dass für das heimliche Betreten der Wohnung und Präparieren des Rechners eine Grundgesetzänderung von Nöten ist, da hier eine heimliche Durchsuchung von Statten gehe, das Grundgesetz aber von einer offenen Durchsuchung ausgeht (s. o.); die Änderung ist m. E. aufgrund der Heimlichkeit nur schwer mit Art. 79 III iVm. Art. 1 GG vereinbar (vgl. auch Schantz, Kritv 2007, 310 (321)).

Andererseits gibt es ja schon die Ermächtigung für ein heimliches Betreten einer Wohnung (zum Lauschangriff). Auch in einem solchen Fall, der Anbringung der Wanze in der Wohnung, wird m. E. durchsucht (und sei es nur nach einem geeignetem Anbringungsort für die Wanze). Es macht doch keinen Unterschied, ob der zu präparierende Rechner aufgesucht wird oder die Wanze angebracht wird...
Was mich irritiert: bei diesen Begleitmaßnahmen im Rahmen des Lauschangriffs, die wohl aufgrund des geänderten Art. 13 III GG gerechtfertigt sind, wurde nie diskutiert, ob diese aufgrund der Heimlichkeit verfassungsrechtlich unbedenklich sind...

Wer kann hier weiterhelfen?

Vielen Dank schon mal für Ihre Antworten!
Rufus

0

Sehr geehrter Herr Rufus,

besten Dank dafür, dass Sie nochmals angesprochene Problematik auf den Punkt gebracht haben.

Meine schon vorliegende Antwort ist deshalb so ausgefallen, weil ich mit Bär "Handbuch zur EDV-Beweissicherung im Strafverfahren", 2007, Rn 467 entgegen der Rechtsauffassung des Ermittlungsrichters des BGH schon bei der "bloßen" Online-Durchsuchung einen Eingriff in das Grundrecht des Art. 13 GG bejahen würde. Die Maßnahme greift auf Informationen zu, die sich in der räumlichen Sphäre der Wohnung befinden und deshalb auch einen besonderen Schutz bedürfen, den gerade Art. 13 GG gewährleisten will. Diese Grundrechtschutz dient gerade dazu, den einzelnen im Interesse einer freien Entfaltung der Persönlichkeit einen elementaren Lebensraum zu gewährleisten (vgl. BVerfG 51, 107, 110).

Jetzt hoffen wir beide, dass über Ihre Fragestellung weiter diskutiert wird. Zwischenzeitlich mache ich mir aber schon mal Gedanken.

Mit freundlichen Grüßen
Bernd von Heintschel-Heinegg

0

Sehr geehrter Herr Prof. v. Heintschel-Heinegg,

vielen Dank für Ihre erneute, prompte Antwort!

Was den Eingriff in Art. 13 GG bei der "bloßen" Online-Durchsuchung angeht: Ihr subjektiver Ansatz bzw. Ihre verhaltensbezogene Schutzbereichsbestimmung ist nicht zu verachten, dennoch teile ich die einen Eingriff in Art. 13 GG ablehnende Ansicht des BVerfG (Urteil v. 27.02.2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 = NJW 2008, 822 (826)), der ein raumbezogenes Verständnis zu grunde liegt.

Da der Eingriff unabhängig vom Standort erfolge, sei ein raumbezogener Schutz nicht in der Lage, die spezifische Gefährdung des Rechners abzuwehren, da der Standort des PCs in vielen Fällen für die Ermittlungsmaßnahme ohne Belang ist und oftmals für die Behörde nicht einmal erkennbar sein werde . Die räumliche Abschottung des Rechnerstandortes sei für Online-Zugriffe nicht relevant. Ein portables Internetgerät werde z. B. vor einem Online-Zugriff nicht besser oder schlechter geschützt, je nachdem ob sich Nutzer und Gerät im Freien oder in einer Wohnung befinden.

Dies überzeugt m. E..
Wohnungsspezifische Begrenzungen (Zäune, Mauern etc.) bieten gegen eine Online-Durchsuchung von außen über Datenleitungen keinen Schutz mehr. Es ist völlig egal, wo der Rechner steht.
Nur, weil ein Rechner u. U. in der Wohnung steht, genießt er schon den Schutz des Art. 13 GG. Nicht alles, was einen unmittelbaren Bezug zu Vorgängen in einer Wohnung hat, wird von Art. 13 GG geschützt; ansonsten müsste man z. B. auch einen Blick durch eine Fensterscheibe als Eingriff in das Wohnungsgrundrecht werten (Beispiel bei Gercke, CR 2007, 245 (250); vgl. zum Ganzen auch Schlegel, GA 2007, 648 (654 ff.)).

I. Ü. scheint auch Bär (wenn es sich um denselbsen Autor handelt) in seiner Anmerkung zu BVerfG, Urteil v. 27.02.2008 - 1 BvR 370/07 u. 1 BvR 595/07, MMR 2008, 325, neuerdings einen Eingriff in Art. 13 GG zu verneinen...

Bei meinem obigen Problem ist selbstverständlich Art. 13 GG tangiert. Vielen Dank, dass Sie sich noch ein paar Gedanken machen. Denn ich stehe da schon ein wenig auf dem Schlauch...

MfG,
Rufus

0

Sehr geehrter Herr Rufus,
lieber Herr Heintschel,

die Diskussion im Art. 13 GG bei der Online-Durchsuchung per se (an deren Entstehung Matthias Jahn und ich mit unserer Anmerkung zur Entscheidung des Ermittlungsrichters in der JR ja nicht ganz unschuldig sind) muss nach der Entscheidung des BVerfG wohl nicht mehr geführt werden (was nebenbei nichts daran ändert, dass ich Art. 13 GG immer noch für nicht so fernliegend und das "Computergrundrecht" auf Integrität des des DV-Systems für keinen vollständigen "Ersatz" halte).

Soweit die software aber nicht anderweitig zugespielt, sondern (ggf. zusammen mit entsprechender hardware, etwa bei key-loggern) durch eine Person in der Wohnung des Betroffenen heimlich installiert werden soll, stellt sich natürlich das Art. 13 GG-Problem. Wenn es eine Verfassungsänderung geben würde, wäre das gelöst; Ewigkeitsgarantieprobleme sehe ich an sich nicht, wenn die Menschenwürde nicht überstrapaziert werden soll.

Aber ohne entsprechende Regelung gibt es in der Tat zwei Probleme: Was ist generell die Befugnisnorm für den Eingriff in Art. 13 GG? Und könnte eine solche verfassungskonform sein?

ad 1 würde ich meinen, dass in einer entsprechenden Regelung zugleich eine Annexkompetenz für die Schritte gesehen werden muss, die technisch unverzichtbar sind, um eine solche Maßnahme durchzuführen. Das wird - wenngleich teilweise mit Bauchschmerzen - ja auch für den sonstigen Einbau technischer Mittel angenommen (vgl. noch zu § 100c a.F. etwa KK-Nack, § 100c Rn. 13 und 14).

ad 2 Ist damit aber BEI DER VORBEREITUNG DER ONLINE-DURCHSUCHUNG gerade nicht das Art. 13-Problem gelöst. Denn auch eine ungeschrieben Annexkompetenz ist natürlich an den Grundrechten zu messen, und beim großen Lauschangriff gibt es den Vorbehalt des Art. 13 III GG, bei der Online-Durchsuchung eben nicht. Daher müsste man da wohl in der Tat das GG ändern.

Aber wie gesagt: Hiergegen speziell Ewigkeitsgarantie-Bedenken anzubringen, ist (unabhängig davon, wie man sonst in der Sache dazu steht) m.E. etwas weit hergeholt und daher ist es dann nur konsequent, dass diese Bedenken beim Lauschangriff und Art. 13 III GG nicht im Mittelpunkt standen. Wir gehen auch sonst nicht davon aus, dass heimliche Maßnahmen des Staates per se menschenwürdereelevant sind. Und der Eingriff in Art. 13 GG ist (zwar ein qualitativ anderer und daher regelungsbedürftiger, aber doch) auch kein wesentlich massiverer und damit einen etwaigen Menschenwürdekren betreffender, weil er heimlich, dafür aber nur kurz und zielgerichtet statt über Stunden und mit Wühlen in allen Wäschefächern abläuft.

Hans Kudlich

0

Sehr geehrter Herr Prof. Kudlich,
sehr geehrter Herr Prof. v. Heintschel-Heinegg,

vielen Dank für Ihre rege Beteiligung!

Ich glaube, jetzt bin ich ein wenig dahinter gestiegen.
Was mich ein wenig irritiert ist, dass mit einer solchen Annexkompetenz alle verfassungsrechtlichen Zweifel vom Tisch geschoben werden können. Was ist mit dem Vorbehalt des Gesetzes und mit dem Zitiergebot?

Das Grundgesetz kennt nun mal keine heimliche Durchsuchung (und das Anbringen einer Wanze ist m. E. eine solche). Und auch wenn diese Durchsuchung nur kurz und zielgerichtet ist, bleibt sie heimlich. Deswegen habe ich meine Bedenken vorgebracht... Ich verstehe nicht, wieso es bei Bekanntwerden des bayerischen Gesetzesentwurf und dem darin geplanten heimlichen Betreten der Wohnung durch Ermittlungsbehörden (unabhängig von der falschen Auslegung des Art. 13 II GG) einen großen Aufschrei gegeben hat, dies aber längst jedenfalls beim Lauschangriff legitim ist (wenn auch laut Meyer-Goßner, 50. Aufl., § 100c Rz. 1, beispielsweise in 2005 nur 6 Wohnraumüberwachungen stattgefunden haben)?!

Zwei Fragen hätte ich noch:

Kennen Sie Stimmen in der Lit., die zum Art. 13 III GG und den (heimlichen) Annexkompetenzen Ewigkeitsgarantie-Bedenken vorgebracht haben?

Zum ersten Absatz des letzten Beitrags: Sie schreiben, dass Sie das "Computer-Grundrecht" für keinen vollständigen Ersatz halten. Wie meinen Sie das? Müsste dieses Grundrecht weiter gefasst sein? Oder sehen Sie den Grundrechtestandard vor der Schaffung des neuen Grundrechts als ausreichend und nicht als insuffizient an (etwa aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung)?

Vielen Dank schon mal!

MfG,
Rufus

0

Sehr geehrter Herr Rufus,

die generelle Problematik der Anerkennung von Annexkompetenzen sehen Sie aus meiner Sicht ganz richtig - und sie wird dort besonders gravierend, wo wir hinsichtlich der Voraussetzungen an gesetzliche Eingriffe unterschiedliche verfassungsrechtliche Anforderungen haben (allgemeiner Gesetezsvorbehalt oder spezielle Vorbehalte wie insbesondere in der abgestuften Systematik des Art. 13 GG). Soweit die Anforderungen insoweit gleich sind, würde ich die eher formale Frage etwa des Zitiergebotes weniger schwer bewerten (aber wahrscheinlich kann man das staatsrechtlich auch anders und weniger pragmaitsch sehen). Dass jedenfalls der Wille des Gesetzgebers, der eine bestimmte Eingriffsbefugnis schafft, auch dahin geht, das mit zu gestatten, was damit ganz unvermeidlich verbunden ist, erscheint mir schon plausibel. Und wenn wir das auch für den Verfassungsgeber annehmen, war beim Lauschangriff das Problem weniger groß, weil der ja in Art. 13 III benannt worden ist und daher auch der Annex dazu verfassungsrechtlich mit gestattet sein könnte. Bei der Online-Durchsuchung ist das anders, weil die nicht unter Art. 13 III GG fällt und, wenn man meint, für die Online-Durchsuchung selbst keine Änderung des Art. 13 GG zu brauchen, eben auch den Annex dort nicht zwischen den Zeilen zum Ausdruck bringt.

Das "Computergrundrecht" ist natürlich eine beachtliche Weiterentwicklung und Klarstellung des BVerfG, das soll nicht heruntergespielt werden. Aber gerade unsere Diskussion zeigt, dass das "Aufhängen" an Art. 2 I dazu führt, das erst mal der ganz allgemeine Gesetzesvorbehalt (weite Schrankentrias) des Art. 2 I GG einschlägig ist; und alles weitere sind dann Abwägungsfragen. Würde man anerkennen, dass auch schon die Online-Durchsuchung per se Art. 13-Relevanz hat, bräuchte man dafür eine Verfassungsänderung - und damit eine klare Stellungnahme auch der verfassungsgebenden Gewalt, dass wir diese Art von Eingriff zulassen wollen (womit ich gar kein unüberwindbares Problem habe - aber es sollte eben eine bewusste und explizite Entscheidung sein). Und nebenbei - dabei hatte ich ursprünglich bei der Diskussion gar nicht gedacht - würde sich (wenn man das so sieht wie ich hier im ersten Absatz) damit dann auch die Annexproblematik entschärfen.

Beste Grüße,

Hans Kudlich

0

Gerade in Hinblick auf die zeitlich späteren Beiträge vom 7. und 4. Juli 2008 ( http://www.blog.beck.de/2008/07/07/onlin-durchsuchung-in-bayern-kommt/ und http://www.blog.beck.de/2008/07/04/online-durchsuchung-bayern-schneller-... ) lässt sich nur feststellen, dass die Bayern offenbar besonders findig sind, wenn sie das "Betreten der Wohnung" zur Infiltration des Rechners zulassen wollen, umgehen sie damit das technisch und in Realitas größte Problem der Online-Durchsuchung durch den physischen Zugriff: Die ohne weiteres möglichen Schutzmechanismen vor der Fern-Infiltration.

Ich sehe allerdings nicht, dass das BVerfG mit der Entscheidung vom 27.2.2008 das "Betreten der Wohnung" - also die dritte Infiltrationsvariante der Online-Durchsuchung - als ohne weiteres gedeckte Annexkompetenz ansehen würde. Vielmehr würde ich mich auf den Standpunkt stellen wollen, dass das BVerfG das Betreten der Wohnung gerade nicht als notwendiger Weise mitzugelassene Annexkompetenz betrachtet, wenn es in Rn. 193 heißt: "Darüber hinaus kann eine staatliche Maßnahme, die mit dem heimlichen technischen Zugriff auf ein informationstechnisches System im Zusammenhang steht, an Art. 13 Abs. 1 GG zu messen sein, so beispielsweise, wenn und soweit Mitarbeiter der Ermittlungsbehörde in eine als Wohnung geschützte Räumlichkeit eindringen, um ein dort befindliches informationstechnisches System physisch zu manipulieren. Ein weiterer Anwendungsfall des Art. 13 Abs. 1 GG ist die Infiltration eines informationstechnischen Systems, das sich in einer Wohnung befindet, um mit Hilfe dessen bestimmte Vorgänge innerhalb der Wohnung zu überwachen, etwa indem die an das System angeschlossenen Peripheriegeräte wie ein Mikrofon oder eine Kamera dazu genutzt werden." ( http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20080227_1bvr037... )
Angesichts dessen, dass sich das BVerfG ansonsten - wenn ich nicht irgendetwas total überlesen habe - eigentlich gar nicht mehr mit dem Betreten der Wohnung befasst hat und auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ganz überwiegend mit den Schwächen der Ferninfiltration argumentiert, erscheint mir die Deutung der Rn 193 dahingehend zulässig, dass man sich mit dem Betreten der Wohnung nicht näher auseinandergesetzt habe und ein solches an Art. 13 zu messen sei, was ja noch nicht geschehen ist.
Da vor der Entscheidung, außer den hierfür angerufenen Gutachtern, sowohl im Medienzirkus als auch in der Politik so gut wie alle behauptet hatten, die Ferninfiltration sei ohne weiteres möglich und habe schon stattgefunden, stand der physische Zugriff auch noch nicht wirklich zur Debatte.
Ich kann mich auch bei der gesamten Vorfelddiskussion - auch der juristischen - lediglich an einzelne Einwendungen der Skeptiker erinnern, die der Auffassung waren, dass der physische Zugriff möglicherweise diverse Probleme der Fern-Infiltration lösen könnte, z.B. wie man tatsächlich nur auf den zu durchsuchenden Rechner käme und auf keinen anderen. Wenn hier in der mündlichen Verhandlung der befragte BKA-Mitarbeiter gesagt haben soll, "man sei auf dem richtigen Rechner, wenn man die richtigen Daten finde", gibt dies zu denken.

Eigentlich wird man sagen müssen, dass das BVerfG zwar über den auf dem Prüfstand stehenden § 5 II Nr. 11 VSG NRW hinausgegangen ist, aber sich lediglich über die Varianten der Ferninfiltration des Zielrechners im Rahmen der präventiven Gefahrenabwehr (BKA und Dienste) geäussert hat. Dies geschah noch einmal eingeengt in Hinblick auf die Terrorismusabwehr, für die die Online-Durchsuchung in erster Linie gefordert wurde und mit der die Notwendigkeit eines soweit reichenden Eingriffs auch politisch argumentiert und gerechtfertigt wurde.

Stellt die Terrorismusbekämpfung gewiss ein Totschlag-Argument in puncto angeblich erforderlicher Ermächtigungsgrundlagen im Rahmen der Sicherheitsgesetzgebung dar, meine ich nicht, dass die Entscheidung des BVerfG vom 27.2.2008 unter Eindampfung des Kernbereichsschutzes den Schluss zulässt, das die Online-Durchsuchung ohne weiteres unabhängig von der Infiltrationsmethode geeignetes, erforderliches und verhältnismäßiges Instrumentarium von Polizeien, BKA und Diensten im Rahmen von präventiver Gefahrenabwehr und Strafverfolgung darstellen würde.
Mögen meine Kenntnisse zur Strafverfolgung auch noch wenig praxisnah sein, gehe ich bislang davon aus, dass Strafverfolger vor allem Beweise benötigen. Diese liefert die Online-Durchsuchung nach dem heutigen Stand der Technik auch bei physischem Zugriff der Ermittler nicht, da kein exklusiver Zugang nur des Nutzers mehr besteht. (Vgl. Hansen/ Pfitzmann/ Roßnagel, DRiZ 2007,225 ff. http://www.heymanns.com/servlet/PB/menu/1226897/index.html )

Würde man die Entscheidung des BVerfG anders herum sehen und alle bisherigen Einwendungen als unerheblich ansehen, würde man dann allerdings durchaus in den Bereich der Wesensgehaltsgarantie kommen können: Es würde die Totalüberwachung eines Menschens ermöglicht.

Entscheidender Punkt, der es, wenn ich es richtig verstanden habe, ja letztlich auch beim "großen Lauschangriff" war, wäre dann aber der Kernbereichsschutz und weniger die Heimlichkeit oder mehr oder minder umstrittene Annexkompetenzen.
Die Eingriffsintensität der Online-Durchsuchung unter einer derartigen Reduzierung des Kernbereichsschutzes, wie sie vom BVerfG gegenüber der Entscheidung zum großen Lauschangriff vorgenommen wurde, lässt sich in meinen Augen einzig und alleine mit dem aus der Terrorismusgefahr möglicherweise gegebenen Sicherheitsnutzen vereinbaren. Auch alleine hier - also im Aufgabenbereich des BKA - würde ich dann möglicherweise, weil realistisch technisch nicht anders machbar, den erforderlichen dreimaligen Zutritt durch die Ermittler akzeptieren können.

Es spricht für die große Koalition in Berlin, dass sie den Zutritt im BKAG nicht zulassen "wollen".
Beim bayrischen Sonderweg in der expansiven Auslegung der Entscheidung des BVerfG, wie es am 4. und 7.Juli dargestellt wird, kann man nur hoffen, dass tatsächlich jemand Verfassungsbeschwerde erhebt.

Ich bemühe nochmals zum Abschluss das BVerfG in Rn. 233: "Soweit Daten erhoben werden, die Aufschluss über die Kommunikation des Betroffenen mit Dritten geben, wird die Intensität des Grundrechtseingriffs dadurch weiter erhöht, dass die - auch im Allgemeinwohl liegende - Möglichkeit der Bürger beschränkt wird, an einer unbeobachteten Fernkommunikation teilzunehmen (vgl. zur Erhebung von VerbindungsdatenBVerfGE 115, 166 ). Eine Erhebung solcher Daten beeinträchtigt mittelbar die Freiheit der Bürger, weil die Furcht vor Überwachung, auch wenn diese erst nachträglich einsetzt, eine unbefangene Individualkommunikation verhindern kann. Zudem weisen solche Datenerhebungen insoweit eine beträchtliche, das Gewicht des Eingriffs erhöhende Streubreite auf, als mit den Kommunikationspartnern der Zielperson notwendigerweise Dritte erfasst werden, ohne dass es darauf ankäme, ob in deren Person die Voraussetzungen für einen derartigen Zugriff vorliegen (vgl. zur TelekommunikationsüberwachungBVerfGE 113, 348 ; ferner BVerfGE 34, 238 ; 107, 299 )."

Wenn der Eindruck entsteht, dass alle Behörden alles dürfen, und das auch heimlich und Hinnahme von Kollateralschäden nicht-betroffener Dritter, könnten sich die Bürger irgendwann nicht mehr mit dem Lieblingssatz des Bundesinnenministers "Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten" zufriedenstellen lassen, sondern davon ausgehen, dass der Staat das macht, was er will, was, wann, wo oder wie er will und sich entsprechend verhalten.

Optimierte Sicherheit ist das eine, ein generell verdächtigter Bürger bzw. der die allgegenwärtig Überwachung fürchtende Bürger die Kehrseite dieser Medaille.
Wenn 100%-ge Sicherheit nicht gewährleistet werden kann, sollte man vorsichtig sein, über Gebühr Opfer dafür zu verlangen, sie zu versprechen.

Claudia Schröder

0

Sehr geehrter Frau Schröder, sehr geehrter Herr Prof. Kudlich,

vielen Dank für Ihre Antworten vom 26.08. bzw. 23.08..

Ihre Ausführungen, Frau Schröder, habe ich mit großem Interesse verfolgt. Ich teile Ihre Auffassungen, insbesondere zum heimlichen Betreten der Wohnung.
Was den "bayerischen Sonderweg" (im PAG) angeht, denke ich ebenfalls, dass dort das heimliche Betreten (im neuen Art. 34e PAG) überwiedgend verfassungswidrig ist (ein sehr interessanter Beitrag dazu: Roggan in Roggan (Hrsg.), Online-Durchsuchungen, Rechtliche und tatsächliche Konsequenzen des BVerfG-Urteils vom 27. Februar 2008, S. 112 f.).
Zu Ihren Auführungen, tendenziell von der Maßnahme eher Abstand zu nehmen, empfehle ich den Beitrag von Hirsch (Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, NJOZ 2008, 1907), der richtigerweise anmerkt, dass das aktuelle Urteil des BVerfG und die dort dargelegten „Eckpunkte“ für den Gesetzgeber nicht als „Freibrief“ verstanden werden sollte: selbst wenn der Gesetzgeber die Entscheidung „1 : 1“ umsetzen würde, dann müsse er vorher trotzdem zur Kenntnis nehmen, dass das BVerfG nur darüber entscheiden kann und entschieden hat, was gerade noch von Verfassungs wegen hinnehmbar ist, wenn man ihre Belastbarkeit (unbedingt) erproben wolle.

Herr Prof. Kudlich,

Sie schreiben in Ihrem Beitrag in puncto Annexkompetenzen, dass - wenn man die Auffassung vertritt, die Online-Durchsuchung "an sich" würde nicht in Art. 13 GG eingreifen - man den Annex nicht im Rahmen des Art. 13 GG zum Ausdruck bringen könne.

Wäre es nicht eine sauberere und unbedenklichere Lösung, den Annex quasi direkt zu regeln, d. h. in Art. 13 zu erlauben? Denn der Annex ist - wie sie ja schreiben - selbst an Art. 13 GG zu messen. Nur, weil man annimmt, dass die Hauptmaßnahme Art. 13 GG nicht tangiert, heißt das doch noch lange nicht, dass die Begleitmaßnahmen das Schicksal der Hauptmaßnahme (Schrankentrias) teilen müssen?!

Beim Lauschangriff wird ja schon immens in Art. 13 GG eingegriffen; dass hier die ebenfalls Art. 13 GG tangierende Begleitmaßnahme nicht explizit geregelt werden muss, kann man akzeptieren. Wenn aber der Wohnungsgrundrechtseingriff im Vorfeld der Maßnahme passiert, während der Durchführung (nach meiner Ansicht) aber gerade nicht mehr, bekommt doch die Begleitmaßnahme eine ganz eigenständige und neue Qualität. Wäre dann eine eigene Änderung des Art. 13 GG, bezogen auf die Begleitmaßnahmen, nicht konsequent?!

Oder liegt hier ein Denkfehler vor?

Vielen Dank schon mal für Ihre Antwort!

MfG,
Rufus

0

Sehr geehrte Frau Schröder,

vielen Dank für die umfang- und gedankenreiche Stellungnahme. Da ich diese nicht als Frage speziell an mich verstehe, gehe ich nicht im Detail darauf ein - außer, dass ich Ihnen zustimme, dass keinesfalls ausgemacht ist, dass das BVerfG das Betreten der Wohnung ohne weiteres annexartig als gestattet ansehen würde (jedenfalls kann auch ich das der Entscheidung nicht entnehmen, wenn ich nichts überlesen habe).

Sehr geehrter Herr Rufus,

das beantwortet schon einen Teil Ihrer Frage: Ich habe mich vielleicht ungeschickt ausgedrückt. Ich würde meinen, wenn man annimmt, die Online-Durchsuchung per se tangiere nicht Art. 13 GG und deshalb sei keine GG-Änderung erforderlich, gibt es im GG auch nichts, was den körperlichen Zutritt annexartig gestattet. Daher wäre dies wohl in der Tat nicht möglich bzw. man müsste für den (von Ihnen so genannten) Vorfeldeingriff tatsächlich eine Grundrechtsschranke schaffen.

Würde man dagegen die Online-Durchsuchung in Art. 13 (mehr oder weniger weich) gestatten, könnte man schon an eine solche Annexkompetenz denken, bei der ich nicht zu streng wäre. Im Unterschied zum großen Lauschangriff könnte man hier aber einwenden, dass eine (bloße) Gestattung der (heimlichen) Online-Durchsuchung das körperliche Betreten doch nicht umfasst, da hier eben anders als beim Einsatz sonstiger technischer Mittel auch Spielarten einer nur elektronischen Infiltration denkbar sind.

Dass unabhängig von dieser Diskussion auch dann eine ausdrückliche Regelung vielleicht vorzugswürdig wäre, steht auf einem anderen Blatt; aber man sollte wohl auch das GG nicht zu sehr mit technischen Details überfrachten.

Hans Kudlich

Davon unberührt

0

Sehr geehrte Herren,

die Online-Durchsuchung bzw. das BKAG geht in die nächste Runde!
Am 15.9.2009 findet eine öffentliche Expertenanhörung im Innenausschuss des Bundestages statt. http://www.bundestag.de/ausschuesse/a04/tagesordnungen/TO_73__Sitzung_am...

Die Stellungnahmen der anzuhörenden Experten sind bereits online gestellt:
http://www.bundestag.de/ausschuesse/a04/anhoerungen/Anhoerung15/Stellung...

Hinsichtlich der oben diskutierten Frage einer Annexkompetenz "Betreten der Wohnung" zur Installation der Online-Durchsuchung ist mir bei nochmaliger Durchsicht des Gesetzentwurfs aufgefallen, dass den Ermittlern des BKA mit § 20 t gestattet sein soll, die Wohnung "ohne Einwilligung" des Betroffenen zu betreten und zu durchsuchen.
Was bedeutet dieses "ohne Einwilligung" im Vergleich zum Wortlaut des § 102 StPO und ohne die Einschränkung der §§ 105-107 StPO. Etwa im Polizeigesetz Berlin wird zwar auch der Wortlaut "ohne Einwilligung" verwendet, aber in § 37 die den §§ 105-107 StPO entsprechenden Einschränkungen vorgenommen.
Der BGH hatte am 31.1.2007 eine Ermächtigungsgrundlage für die Online-Durchsuchung auf Basis der Vorschriften der §§ 102 ff. StPO verneint, da vor allem aus den §§ 105 ff. StPO ein zwingend offenes Behördenhandeln vorgesehen sei.

Könnte man aus diesem Verzicht der entsprechenden Einschränkung im BKA-Gesetzentwurf nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass das BKA nun etwas dürfen soll, was den Polizeien bzw. Strafverfolgern nicht gestattet ist?: Ohne Kenntnis und in Abwesenheit des Betroffenen die Wohnung betreten zu dürfen?
Eine entsprechende Regelung ist sicher kaum vergessen worden, sondern stellt einen bewussten Unterschied zu den anderen Regelungen dar.

Hiermit ist zwar nicht die Vereinbarkeit mit den Schranken des Art. 13 GG zwangsläufig gegeben, aber dennoch der erste Schritt getan, das heimliche Betreten zuzulassen.

Mit freundlichen Grüssen

C. Schröder

0

Sehr geehrte Herren,

die Frage hat sich insofern erübrigt, als dass § 20 t E-BKAG auf § 46 Bundespolizeigesetz verweist, was freilich die Frage zulässt, ob es angesichts der von Gusy "beklagten" Detailfreude des Gesetzentwurfs nicht sinnvoll und opportun wäre, die wenigen Worte auch direkt ins Gesetz aufzunehmen, um zu vermeiden, dass es "aus Versehen" übersehen wird.

Mit freundlichen Grüssen

C. Schröder

0

Kommentar hinzufügen