ArbG Köln: Kündigung eines schwerbehinderten Menschen während der Wartezeit

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 04.03.2024
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|2332 Aufrufe

Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen besonderen Kündigungsschutz. Nach § 168 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses schwerbehinderter Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Allerdings greift dieser besondere Kündigungsschutz nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat. Eine sechsmonatige Wartezeit sieht im Übrigen auch § 1 Abs. 1 KSchG für den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG vor.

Eine vor Ablauf der Wartezeit ausgesprochene Kündigung kann indes auch aus anderen Gründen unwirksam sein. Hier kommt vor allem ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zugunsten schwerbehinderter Arbeitnehmer in Betracht (§ 164 Abs. 2 SGB IX). Hiernach dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Verstöße gegen dieses Verbot führen zur Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB. Mit dieser Thematik befasst sich eine neuere Entscheidung des ArbG Köln (v. 20.12.2023 - 18 Ca 3954/23, BeckRS 2023, 40339).

In diesem Fall erfolgte die Kündigung noch in den ersten sechs Monaten und zwar ohne, dass der Arbeitgeber zuvor ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchgeführt hätte. Nach § 167 Abs. 1 SGB IX schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Eine unionsrechtskonforme (Art. 5 RL 2000/78/EG und Art. 27 I 2 lit. a UN-Behindertenrechtskonvention) Auslegung dieser Norm – so das ArbG Köln - ergibt hier, dass der Arbeitgeber auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet ist, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Damit distanziert sich das ArbG Köln von der noch zur Vorgängernorm ergangenen Entscheidung des BAG vom 21.4.2016 (8 AZR 402/14, NZA 2016, 1131). Eine durch § 164 Abs. 2 SGB IX verbotene Diskriminierung sei indiziert, wenn der Arbeitgeber gegen seine Verpflichtung aus § 167 Abs. 1 SGB IX verstoße.

Die Kündigung verstoße gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und sei damit unwirksam.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Welcher Unternehmer stellt jetzt noch Schwerbehinderte ein? Insbesondere bei denen schon bei Einsdtellung ein absehbares Risiko des Scheiterns besteht? Faktisch bekommt kein Arbeitgeber eine Kündigung in der Probezeit mehr hin. Besser faktisch aussortieren oder befristete Anstellungsverhältnisse - z.B. 6 Monate - vereinbaren. Bis der erste Fall der Diskriminierung durch befristete Verträge speziell für Behinderte kommt. Operation gelungen. Patient tot.  

0

Kommentar hinzufügen